Lavendel-Romantik im Krimi-Format? – Das Bild täuscht.
Das ist nämlich nicht die Provence. Die Aufnahme wurde in der direkten Nachbarschaft, bei mir um die Ecke sozusagen (Stuttgart-Ost auf 500 Höhenmetern), gemacht, deutsch, sogar schwäbisch und großstädtisch … Und das hat etwas mit dem Buch zu tun.
Irgendwie kam mir der wunderbar französisch klingende Name der Autorin gleich so bekannt vor … Und ja. Gab es nicht eine Madame le Commissaire, die es nach einem Trauma in ihre provenzalische Heimat verschlägt und sich Isabelle Bonnet nannte … Ist das Zufall? – Vermutlich schon. Der Autor Pierre Martin dieser ebenfalls 2014 (wie Sophie Bonnet) gestarteten Krimiserie ist natürlich kein Franzose, sondern Deutscher, wie auch Jean-Luc Bannalec – Jörg Bong -, der ab 2012 bretonische Krimis schreibt. Die Aufzählung lässt sich leicht fortsetzen: Cay Rademacher startete – welch seltsame Begebenheit – auch 2014 mit „Mörderischer Mistral“ eine Krimireihe in der Provence und Remy Eyssen folgte 2015 mit „Tödlicher Lavendel“ … Alles deutsche Autoren.
Das fällt schon auf und hat etwas von einer Welle, ist fast schon eine kulturelle Vereinahmung (oder Aneingung) von französischen Landstrichen mit magischer Anziehungskraft für Krimis deutscher Machart.
Den Pfad für den großen Erfolg dieser Gattung Bücher hat vermutlich der Britte Martin Walker mit seiner sehr beliebten Serie über den „Chef de police“ ab 2008 im Périgord gelegt. Immerhin lebt er ähnlich wie Cay Rademacher seit Jahren genau dort vor Ort, wo die Handlung seiner Krimis spielt …
Sophie Bonnet heißt natürlich eigentlich Heike Koschyk, ist Hamburgerin und bezeichnet bei ihrer Lesung in Stuttgart letzten Mittwoch, wo sich die Autorin vermutlich ahnungslos auf 250 Höhenmetern befindet, das provenzalische „Gordes“ (im Luberon, 370 m ü.M.) als „Bergdorf“, was ich als Süddeutscher, der Hügelchen gewohnt ist, bei schlappen 120 Metern des französischen Ortes über meiner Landeshauptstadt nur als irritierend empfinden konnte.
Warum ich eine solche Lapalie so besserwisserisch-prominent erwähne? – Es ist eines von vielen Indizien, dass in diesem Krimiroman eben eine sehr (nord-)deutsche Sicht von der Provence geboten wird und keine Tiefenschau in die Seele des französischen Südens.
Wer sich an dieser Stippvisiten-Perspektive nicht stößt, wird eine gut aufgebaute kriminalistische Aufklärungsarbeit kombiniert mit Landeskunde (in Band 9 die Auswirkungen des Algerienkriegs und Trüffelsuche) und dem Duft von provenzalischem Essensgenuss finden – ein Erfolgsrezept auf dem deutschen Markt.
Ich bin ja nur deshalb so kritisch in diese Besprechung von „Provenzalische Täuschung“ eingestiegen, weil ich in der Beurteilung sehr zwiegespalten bin und selbst mit mir ringen musste, warum Gefallen und Mißfallen so ambivalent nahe beieinander lagen.
Das Buch liest sich wunderbar weg, bietet knifflige Detektion, lässt einen in die vermeintlich „provenzalische“ Lebensart abtauchen und eröffnet kleine Einblicke in in ein dunkles Kapitel der Geschichte des Landes. Sehr nett! Habe ich im ersten Moment gedacht. Aber es hat mich etwas gestört. Aber was … ?
Ich war schon oft in der Provence rund um Gordes und das Calavon-Tal – die Beschreibungen haben für mich gepasst. Gut vor Ort recherchiert und in angenehmen Worten beschrieben (so weit ich das beurteilen kann). Kompliment! O.k., die französischen Ausdrücke (Idiome) schienen mir mitunter etwas wahllos gestreut. Das war aber auch nicht das Störgefühl. Was dann?
Als ich Sophie Bonnet am letzten Mittwoch bei der Lesung erlebt habe, ist es mir klar geworden. Aber dafür muss ich ein bisschen ausholen:
Es präsentierte sich eine Autorin, die mit ganzer Leidenschaft über eine Region schreibt, die sie liebt, deren Essenskultur sie schätzt und als passionierte Köchin in eigene Rezepte umzusetzen versteht. Sie will mit hohem Anspruch an sich selbst eine Perfektion erreichen, weshalb sie intensiv an Details arbeitet und letzlich alles im Roman durchaus rund wirkt.
Dann erzählte Sophie Bonnet kurz vom Algerien-Feldzug (bis 1962) der Franzosen, dem vorherigen Zusammenleben und dem Leid, das der Krieg für alle verursacht hat – ein wichtiges und aktuelles politisches Thema, weil kaum aufgearbeitet und immer noch mit enormen Auswirkungen auf die heutige Gesellschaft – und Hintergrund des Mordes im Roman.
Wieso wählen in ihrer schönen Provence soviele Menschen rechts, fragte sich Sophie Bonnet und hat genau über dieses Thema um die Algerien-Vertriebenen recherchiert. Davon hätte ich gerne viel mehr gehört … Doch die Autorin schwenkte ziemlich schnell wieder um und beteuerte in fast entschuldigendem Ton, dass der Roman sonst sehr unterhaltsam wäre …
Da, genau da manifestiert sich mein Befremden. Darf man dem Publikum – dessen Altersdurchschnitt ich übrigens zu meiner Verblüffung an diesem Abend gesenkt habe – nicht zu viel zumuten, es gar mit zu ernsten Dingen abschrecken? Und das ist in der Hauptsache eine Kritik an die deutsche Leserschaft, die offensichtlich nicht zu sehr in dem traumhaften Provence-Gefühl gestört werden will durch harte politische Realitäten.
Aber es ist dann auch ein Schwachpunkt des Konzeptes, des Romans und der ganzen Reihe: die Seichtheit von Unterhaltung als Zugeständnis an die Leser*innen …
Mein empfindliches Näschen schlägt eben nicht auf provenzalischen Périgord -Trüffel an, sondern auf gezielt für den Massengeschmack angelegte Machwerke … und ja, da hat mein Sinnesapparat sogar Alarm geschlagen. Es ist zwar gut gemacht, aber wohldosiert, was man an „Thema“ und „Ernst“ einbauen darf. Der Rest ist ein schön gemaltes Provence-Bild, aber ziemlich banal, wie auch die Liebesgeschichte zwischen einem „Dorfpolizist mit Bauchansatz“ und einer „Chefköchin der Domaine des Grès“ (226) unspannend ist, weil sie irgendwie keine realen Konflikte miteinander haben … Eine Urlaubs-Provence für Deutsche, Lavendel-Duft im Bergdorf ohne den Gestank der Vororte von Marseille …
Das wirkt, bei aller Detailarbeit in der Beschreibung, sehr weit entfernt von dem wirklichen Leben in der Provence. Natürlich hatte ich das auch nicht erwartet, aber sehr wohl etwas mehr erhofft. Leider bin ich einer „Provenzalische [n] Täuschung“ erlegen …
Wer sich bis jetzt nicht abschrecken ließ, der oder die sei doch noch kurz zum Inhalt informiert. Die inzwischen 9 Bände um den Ex-Kommissar Pierre Durand, der in einem (fiktiven) Dorf Sainte-Valerie nahe Gordes als Chef der hiesigen Polizei seine Heimat gefunden hat, spielen immer zu verschiedenen Jahreszeiten, mit regionalen Schwerpunkten in der Provence und verschiedenen Hintergründen.
Eigentlich darf Pierre in seiner Position gar nicht bei Mord ermitteln, aber in „Provenzalische Täuschung“ wird er sogar direkt aus dem Team ausgeschlossen, weil ein gewisser Verdachtsmoment auf ihn fällt, als der Rivale um seinen Job ermordet wird. Doch auch die Familie des Bürgermeister von Sainte-Valerie, mit dem Pierre nie gut zurecht kam, scheint nicht unbeteiligt zu sein … So folgen wir dem Polizisten bei seinen privaten Ermittlungen, gelangen zum Bruder des Bürgermeisters auf dessen Trüffelfarm und erfahren von der Schwester, dass die Familie zu den „pieds noirs“, den Vertriebenen aus Algerien gehört … Alles ist nicht so, wie es nach außen zu sein scheint.
Nebenbei müssen sich Pierre und Charlotte auf einen Ort für ihre Hochzeitsfeier einigen, weil die Leute im Dorf schon nachfragen, warum sie (noch) nicht eingeladen sind. Aber natürlich gelingt ihnen das ohne großes Zerwürfnis …
Im Gegensatz zu vielen anderen Regionalkrimis liefert Sophie Bonnet keinen reinen Kitsch, sondern selbst mit Band 9 eine sehr interessante Kriminalgeschichte mit Herz, Lebensgefühl und sogar geschichtlichem Hintergrund. Am schönsten fand ich tatsächlich, wenn die Autorin über Essen schreibt – ich hatte den Geschmack auf der Zunge und die Sehnsucht nach meiner Lieblingsregion in Frankreich wurde heftig entfacht.
Als unterhaltsame Lektüre mit leicht gehobenem Anspruch lässt sich die „Provenzalische Täuschung“ auf der Sonnenterrasse oder im Urlaub mit einem Gläschen Rosé aus dem Vaucluse gut genießen.
Spannung, Lebenswirklichkeit und die Schattenseite des Daseins haben mir für ein besonderes Lese-„Erlebnis“ zu sehr gefehlt.
Nichts ist hinderlicher für Veränderung als der Erfolg, hat mich ein weißer Manager gelehrt. Muss eine Reihe im gleichen Schema wirklich in die zehnte Runde gehen, oder darf es nicht auch mal etwas mehr Zumutung und Dunkleres zu entdecken geben? Vielleicht gar mal eine „Provenzalische Überraschung“?
Sophie Bonnet: Provenzalische Täuschung. Ein Fall für Pierre Durand, blanvalet 2023, 382 Seiten.
Weiterführende Links:
➛ Interview im Hamburger Abendblatt 2021 mit der Autorin
➛ Die Webseite mit Hintergründen und natürlich den leckeren Rezepten