Interviews

INTERVIEW MIT DAVID LINDSAM | SARAH LUTTER
in: WELTENPORTAL Nr. 4  11/22

Mit Dar-Rashûk gibst du dem Leser ein wahres Epos an die Hand. Wie bist du auf die Idee gekommen?

Meinst du das mit dem Epos als Kompliment? Ich habe nämlich bei meinen Kiddies gelernt, dass man epic heutzutage im Sinn von geil oder toll verwendet …
Natürlich wollte ich kein Epos im klassischen Sinne schreiben. Ich hatte einfach Lust, mir die vielen Geschichten aus meinem Kopf zu schreiben. Das hat etwas fast Therapeutisches für mich.
Abgründige Ängste, elementare Sinnfragen, tiefe Gefühle … All das taucht beim Schreiben auf und findet seinen Weg. Das ist cool und tut gut.
Oder etwas literaturtheoretischer: Es ist für mich höchst spannend, die Wirklichkeit nicht nur durch eine Brille zu betrachten, sondern mit den Mitteln der Sprache eine ganz eigene Welt aufzubauen und damit zu spielen. Denn eine Fiktion lebt nur, wenn sich Wirkliches und Vorstellbares zu einem Ganzen zusammenfügen. Der Blick wird auf diese Weise über die eigene Realität hinausgehoben. Und das halte ich für absolut reizvoll …
Die genaue Idee zu Dar-Rashuk? – Ich habe meinen Kindern Geschichten von einem etwas anderen Vampirjäger erzählt. Als ich irgend wann ein paar Skizzen zu dieser Welt anfertigte, eine erste Szene niederschreib … war die Idee für ein Buch geboren. Der Rest hat sich entwickelt. Allerdings anders als ursprünglich gedacht.

Religion, Mythen, Geschichte, Psychologie – aus vielen Bereichen fließen Hintergrundinformationen ein. Welcher Teilbereich ist für dich der maßgebliche?

Es ist genau die Mischung, die es für mich ausmacht. Ganz ehrlich. Mir wird es beim
Lesen schnell langweilig, wenn sich die Erzählspannung nur durch Action aufbaut und sich keine Welt dahinter auftut. Und ich meine damit durchaus ein Weltenportal – das müsste dir als Weltenportal-Reporterin gefallen, oder? –, ein durch die Sprache aufgebautes Tor in eine Welt, die mir Dinge ganz anders oder auch neu zeigt.
Deshalb liebe ich es, auf bunt schillernde Beziehungsgeflechte zu blicken, auf Ängste, die im Verborgenen die Menschheit schon seit ewigen Zeiten bewegen; auf Geschichten aus alten Zeiten, in deren Spiegel sich mein eigener Horizont erweitert. Solche Hintergründe sind für mich interessant.
Und genau so, wie ich gerne lesen würde, versuche ich auch zu schreiben.
Ich weiß: Viele in der Fantasy-Szene wollen, dass ein Buch die Genre-Elemente satt bedient. Ich aber wollte einen Roman schreiben, der sich in diesem phantastischen Terrain bewegt wie in der eigenen Heimat und doch zugleich in die Fremde geht und bei dieser Queste unendlich viel Neues zu entdecken gibt …

Was hat dir mehr Spaß gemacht? Die Sprache, die Gesetze oder die Wesenheiten zu erschaffen?

Du stellst Fragen … Muss ich mich wirklich entscheiden?
Die Wesenheiten sind natürlich der Kern des Ganzen. Eine Welt, die seit ewigen Zeiten neben unserer Realität auf der Erde existiert. Meist im Verborgenen, doch auch mitten unter uns – und nicht immer nur friedlich, so dass es in der Vergangenheit immer schon zu Konfrontationen kam. Etliche der Sagen und Mythen, die wir uns heute erzählen, sind damals entstanden … Geschichten haben eine Geschichte.
Und etwas, das dieses Zusammenleben sehr unterschiedlich mächtiger Wesenheiten regeln soll, sind die Hochgesetze, geschaffen, weil dereinst in verheerenden  »Blutkriegen« um mehr als nur die Herrschaft gerungen wurde …

Die Sprache des Ursprungs verbindet die Wesenheiten und ist zugleich ein Link zu ihrer alten Heimat. Von dort wurden sie vor langer Zeit verbannt. Und nur mithilfe der Menschen werden sie zurückfinden. Aber die Wesenheiten müssen dies erst noch erkennen.

Die Dinge kommen nur sehr langsam in dem Roman zutage, und ich sollte nicht weiter spoilern … So viel steht fest: Ich hatte Megaspaß, diese Welt zu erschaffen.

Deine Hauptcharaktere gehen zwischendurch auf Reisen. Bist du der Meinung, dass man einen realen Ort gesehen haben muss, um seine Atmosphäre einzufangen?

Eigene Eindrücke und eine gute Recherche sind sicher sehr hilfreich, um eine Atmosphäre, die man vermitteln möchte, erst einmal im Autorenkopf einzufangen. Und geht es um reale Orte, die jeder bereisen und aus eigener Anschauung kennen kann wie etwa Neapel, das in dem Buch eine große Rolle spielt, dann sollte die Beschreibung auch sehr nahe an der Wirklichkeit sein.
Ob eine Szene aber letztlich für einen Leser im Detail realistisch wirkt und eine besondere Stimmung eindrucksvoll transportiert wird, hängt sicher weit mehr von den sprachlichen Mitteln ab, die man als Autor einsetzt, als von den eigenen  Kenntnissen der örtlichen Gegebenheiten.
Natürlich war ich aber
um das Beispiel aufzugreifen in Neapel: wurde mit dem Taxi wild durch die Straßen chauffiert, bin durch die Altstadt geschlendert, habe Pizza Napoli gegessen und Stunden im Nationalmuseum zugebracht. Und auch den tanzenden Faun habe ich dort gesehen … Als es dann aber daran ging, diese Orte mit Worten in Szene zu setzen, habe ich mir viele Bilder (aus dem Internet) und Filme angesehen, um meine Erinnerung aufzufrischen. Und ich denke, dass mich diese aktuelleren Quellen mindestens genauso beeinflusst haben.

Welche Bücher haben dein Werk am meisten beeinflusst?

Das ist schwer zu beantworten. Formal und nach Genre betrachtet würde sich mein DarRashûk in die Schublade Urban Fantasy pressen lassen. Obwohl ich viele der Werke dieses Subgenres aus den letzten 20 Jahren kenne, könnte ich jedoch keines hervorheben, dem ich nacheifere. Ich mag eine dunkle, sich steigernde Spannung wie im Mystery, war aber nie ein Fan von Autoren wie etwa Stephen King oder Neil Gaiman. Natürlich sind auch alle Harry PotterBände, Das Lied von Eis und Feuer
und Der Herr die Ringe in meiner Bibliothek, aber ich wollte nie in einem ähnlichen Stil schreiben.

Bei mir kommen immerhin schon 45 Jahre Leseerfahrung zusammen, und ich habe in ferner Vergangenheit Literatur studiert. Ich vermute also, dass es eine gewisse Liebe zu den Themen der Fantasy ist, die sich mit dem Bedürfnis verbunden hat, einem guten belletristischen Stil gerecht zu werden vielleicht ein wenig wie der Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro in »Der begrabene Riese« (ohne mich mit ihm vergleichen zu wollen!). Ach – jetzt habe ich doch noch ein Vorbild gefunden,
wobei ich ihn als Autor erst nach meinem Buch entdeckt habe.

Wie lange hast du denn an Dar-Rashûk gearbeitet?

Viel zu lange … Das meine ich ganz ernst. Es sollte perfekt sein. Aber das kriegt man nie hin.
Heute würde ich so ein Buch schon wieder ganz anders schreiben als damals vor fünf Jahren, als ich damit begonnen habe. Ich bin mir inzwischen viel bewusster über meine eigenen Stilschwächen und ungeschickten sprachlichen Eigenheiten. Ich könnte es also ständig neu überarbeiten und wäre am Ende wieder so weit, dass ich neue Ideen für die Überarbeitung hätte.
Jetzt – nach vielen Rückmeldungen von Testlesern und intensivem lektorischen Beistand – ist es reif. Dar-Rashûk darf an die Öffentlichkeit. Und ich gehe weiter.
Das nächste Buch werde ich viel schneller schreiben und auch ganz anders – glaube ich jetzt. Ideen, die ans Licht und auf die Bühne wollen, toben jedenfalls genug in meinem Kopf.

Durch die vielen Perspektivwechsel ist das Buch sehr komplex angelegt. Wie hast du es geschafft, deine Figuren niemals zu verlieren?

Habe ich das? Wenn du das sagst!
Das Geheimnis beim Schreiben – zumindest für mich – ist nicht das »Plotten«, um eine spannende und durchgängig stimmige Geschichte hinzukriegen. Ich entwickle zunächst eine genaue Vorstellung von den Akteuren in meinem Kopf, die ich auf die Bühne bringen will und denen ich dann genau den Raum lasse, den sie beanspruchen. Plötzlich passiert vieles fast wie von selbst: Die Konflikte zwischen den Protagonisten brechen unvermittelt auf, die Dialoge spinnen sich, wohin die Beteiligten wollen (nicht etwa, wie der Autor es vorgesehen hatte), und die Ideen für die nächsten Szenen ergeben sich aus dem, was gerade passiert.
Break. Nach diesen Phasen (die immer wieder das Schreiben vorantreiben) beginnt der nichtkreative Teil der Arbeit als Autor (und das ist der größere), nämlich diese ganze Dynamik wieder einzufangen, den Flohzirkus zu bändigen und die Spur und Linie herzustellen. 95 % Transpiration – wenn zu Beginn die 5 % Inspiration standen.

Zu dem Arbeitsanteil gehört auch, dass ich mir bei dem Sprung, der zwischen zwei Szenen eines/r Progonist:in liegt, ein klare Vorstellung bilde, was in dieser Zeit passiert ist, und scharf abwäge, ob dies in der aktuellen Szene zur Sprache kommt (was schnell in Richtung »Infodump« gehen kann), ich es nur andeute oder ganz auf die Fantasie des/r Leser:in vertraue.
Das ist oft keine leichte Entscheidung, wobei ich mehr zum Letzteren neige, was das Lesen mitunter ein wenig herausfordernder macht.

Verrätst du uns, was und wer sich hinter deinem Pseudonym verstecken?

Die Idee hinter dem Pseudonym ist nicht Anonymität. Mein Klarname ist schlicht nicht besonders spannend und auch nicht leicht mit einem phantastischen Buch zu assoziieren. Außerdem stehe ich damit im Geschäftsleben.
Das Pseudonym Lindsam war einfach irgendwann da. David hieß der erste Held in meiner Science-Fiction-Geschichte, die ich als Junge von 12 Jahren geschrieben habe. Und ein geheimnisvoller zweiter Vorname musste noch dazu. Fertig: David A. Lindsam.

Und wer ich bin? Ein paradoxes Wesen: Familientierchen und Individualist,  Philologe und Technologiemanager, Träumer und Perfektionist.
Wenn jemand mehr wissen möchte, freue ich mich immer über einen direkten Austausch.

Stell dir vor, du bist ein Buchhändler und müsstest einen Käufer davon überzeugen,
dein Buch statt eines anderen Epos zu kaufen. Wie würdest du argumentieren?

Oft gilt als Gütesiegel für ein Buch, wenn man es »verschlingt« oder »in einem Zug wegliest«. Mich macht das immer total stutzig. Ich wittere dann billige Action oder simple Verführungskunst – was natürlich gar nicht immer zutrifft (und ja auch sehr nett sein kann!). Trotzdem: Ist ein Buch nur dann gut, wenn man es nicht wieder aus der Hand legt?
Mein Modell für das Schreiben war das nie. Ja, es soll einen Sog geben, der die Leser:innen immer wieder zurück zu den Zeilen führt, weil sich die Gedanken im Kopf fortsetzen, das Gelesene nicht sofort in allem platt liefert, was der Mainstream-gewöhnte Mindset sich erhofft … Weil es beschäftigt und vieles anstößt
… und trotzdem noch unterhaltsam ist.
Was also wäre mein Argument bei einer Beratung für mein Buch? Lies es, wenn du nicht nur Fantasy liebst und gerne gut unterhalten werden möchtest, sondern auch mal ein Buch zur Seite legen magst, damit sich die Gedanken in deinem eigenen Kopf weiterspinnen …
Diese Art von Lesevergnügen wünsche ich meinen Leser:innen.

➛ WELTENPORTAL MAGAZIN (11.22)  ➛ Seite von Sarah Lutter

Auf dem Buchblog “edition ars” schreibt David über Phantastik in der Literatur. Heute stellen wir euch David und seinen Buchblog vor. Lest in diesem Artikel, welche Antworten er uns auf unsere Fragen gibt.

David liest schon seit über 40 Jahren – da ist einiges an Büchern zusammen gekommen. Von der Zunft der Literaturkenner wurden ihm sogar höhere akademische Weihen verliehen, aber das hat nicht viel geholfen. Irgendwann ist ihm trotzdem die Lust vergangen. Diese in Massen auf den Markt geworfenen Bücher hatten ihm gründlich den Geschmack verdorben.
Vor ein paar Jahren hat David selbst mit dem Schreiben begonnen und siehe da – das wirkte wie eine heilsame Medizin für den literarischen Geschmackssinn. Mit geschärftem Blick geht er jetzt in seinem Blog die Lektüre ausgewählter Werke an und versucht sich Klarheit zu verschaffen, was ihm noch gefällt und warum das so ist. Auf seinem Blog „edition ars“ findet man deshalb nicht wie üblich Leseempfehlungen, sondern interessante Essays über die Eigenart und Unart von Büchern. Sein besonders Steckenpferd ist die Phantastik, aber er liest sich auch wieder quer durch alle Regale.

Warum betreibst du deinen Buchblog?

Betreibe ich einen Buchblog? – Vermutlich würde man es wohl so nennen. Ich selbst bezeichne mein Projekt eher als Selbstversuch mit Öffentlichkeitscharakter. Insofern unterscheidet es sich vielleicht gar nicht von anderen Buchblogs. Denn die meisten Blogger schreiben vornehmlich für sich selbst und freuen sich, wenn andere daran Anteil nehmen.
Die Motivation allerdings zu meinem Buchblog war womöglich ein wenig anders, vielleicht ungewöhnlich. Als ehemaliger Vielleser ist mir irgendwann die sogenannte hohe Literatur, aber auch mein Steckenpferd, die Fantasy, durch allzu viel Mainstream verleitet worden. Oder ich habe schlicht altersbedingt den Geschmack daran verloren. Die Lust war komplett weg. Erst als ich begonnen habe, selbst zu schreiben, und das auf eine Weise, wie es mir persönlich gefällt, ist mein Interesse für andere Bücher fast von allein wiedergekommen.
Ich glaube, man nimmt bewusster wahr und rezensiert irgendwie anders – ich kann es nicht genau erklären –, wenn man mit dem Autor:innenblick liest. Und das teile ich mit den Kolleg.innen vom Buchensemble.
Ich schreibe übrigens nur 3-4 Beiträge im Monat, weil ich keine kurz zusammengefassten Buchempfehlung abgebe, sondern mich ausführlicher mit den jeweiligen Werken auseinandersetzen. Das kann sehr interessant sein, insbesondere, wenn man das Buch schon gelesen hat. Es ist also eher ein „Nachlese“-Blog.

Was magst du an Büchern?

Ehrlich gesagt musste man mich als Kind mit Geld locken: Auszahlung von X,- DM für 30 Bücher in einem halben Jahr. Der kapitalistische Ansatz hat super funktioniert. Seither lese ich. Natürlich nicht nur. Ich weiß einen schönen Film oder gut gemachte Serien genauso zu schätzen. Wichtig ist nur, dass sich meine eigene, kleine Welt durch eine andere Perspektive erweitert. Das geht bei Büchern meist besser als bei anderen Medien, weil das Gedruckte mich stärker fordert, mein Hirn anzustrengen und ein bisschen über meine eigenen Gedanken hinauszuwachsen.

Lesen kann ich überall. Aber die Verlockungen, es nicht zu tun, sind groß. Tatsächlich wurden die Streamingdienste mit ihrem riesigen Angebot in Deutschland zur echten Konkurrenz für das Lesen. Mal schnell Serien zu glotzen übers Smartphone oder den Flatsrceen ist so einfach geworden. Auch ich muss aufpassen, dass das nicht überhandnimmt. Einige denkwürdige Zahlen und Überlegungen habe ich in einen aktuellen Artikel gepackt („Streaming Inc. und Lesekiller KG“).

Welche sind deine liebsten Genres und warum?

Es ist schade, dass die Verlage komplett in „Genres“ denken und wir als Leser alles immer schön säuberlich getrennt serviert bekommen.
Ich würde gerne einen Krimi lesen, der in der Zukunft spielt und phantastische Elemente besitzt – das hat Expanse von James S. A. Corey geschafft. Oder einen historischen Roman, der seine Zeit spiegelt und trotzdem etwas ganz Neues damit verbindet – das habe ich in Susanna Clarkes Jonathan Strange & Mr. Norrell gefunden. Und ich mag Bücher, die heute spielen, aber eine verborgene Welt hinter der augenscheinlichen Realität nach und nach offenbaren – etwas, das mir in Urban Fantasy begegnet.
Ihr merkt, dass ich von der phantastischen Literatur nicht ganz lassen kann. Für mich ist es überaus reizvoll, die Welt über ihre Grenzen hinaus zu denken, weil sich die tröge Macht des Faktischen auf diese Weise abschütteln lässt und sich reale Möglichkeiten ergeben, die vorher kaum zu denken waren.
Aber all das findet sich oft weniger in der Fantasy (die z.T. in der Buchbranche als Genre sehr beschränkt ist) als vielmehr in den unterschiedlichsten Genres und bei Autoren, die mit ihren Gedanken weit in unbekannte Welten vordringen …

Wie wichtig sind Buchblogger*innen deiner Meinung nach für die Buchbranche?

Das ist eine Frage, die nicht so leicht zu beantworten ist.

Wenn ihr es simpel wollt: Buchblogger sind für die Buchbranche unwichtig.

1. Die Zahl der verkauften Bücher in der Belletristik – also der Literatur – geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Diese Tendenz wird offensichtlich nicht durch das Schreiben über Bücher im Internet gestoppt.
2. Wenn Bücher von den Verlagen umworben werden, dann immer noch fast ausschließlich mit Zitaten und Kritiken aus der „offiziellen“ Literaturkritik, den Feuilletons. Blogger spielen hier keine Rolle. Bei dem durch den österreichischen Literaturpreis ausgezeichneten Buch „Dave“ von Raphaela Edelbauer habe ich diesen Mai die Probe aufs Exempel gemacht: Auf den Referenzen des Klett Cotta Verlags war nur 1 von 30 Referenzen ein Blog. Das nenne ich bedeutungslos.

Wenn man es differenziert betrachtet: Buchblogger sind für die Buchkultur wichtig.

1. Leider gibt es genug Beispiele, dass Blogs nur emotional über Bücher „twittern“. Das hilft wenig für die Einschätzung eines Werkes (worüber ich einen bösen Artikel verfasst habe: „Rezensionen, Blogs und all der Rummel …“). Viele andere Buchblogs aber widmen sich mit Herz und Verstand ihren Besprechungen und leisten damit einen genialen Beitrag zum Diskurs über wichtige kulturelle Werte.
2. Natürlich belächelt die institutionalisierte Literaturkritik die „Demokratisierung der Literaturkritik“ als Entprofessionalisierung (vgl. Sigrid Löffler im Deutschlandfunk). Leider hat das Internet den Nachteil, dass viel überflüssiges Zeug durch den Äther geschickt wird und nicht selten sogar ziemlich Dummes. Sieht man aber über diese Auswüchse hinweg, ist es eine unglaubliche Bereicherung, wie viele Menschen sich über geistige Güter austauschen und damit im „Ehrenamt“ Kulturschaffende sind.

Was sind deine Top 10 Bücher aller Zeiten?

Da muss ich passen. Es gibt so viele Bücher, die mich zu einer bestimmten Zeit berührt oder angesprochen haben. Aber es gibt keines, das über alle Phasen meines Lebens hinweg ein kontinuierlicher Begleiter gewesen wäre. Und das ist auch gut so. Das ist Vielfalt., wie auch das Leben selbst immer wieder anders ist. Es braucht das passende Buch zu einer bestimmten Situation – und das kann ich nicht generell empfehlen.

Was wünscht du dir für die Zukunft im Umgang zwischen Verlagen und Bloggenden?

Nun, das setzt voraus, dass es hier überhaupt eine engere Beziehung geben sollte. Sollte es das? – Ich persönlich will keine Rezensionsexemplare erhalten, sondern lesen, was ich lesen mag. Ich will auch kein verlängerter Arm des Literaturbetriebs sein. Und oft lese ich, was schon älter ist und nicht immer nur das, was mir als „brandaktuell“ durch den Markt vorgegaukelt wird.
Es muss nicht unbedingt ein „Gschmäckle“ (wie man bei uns in Schwabenland sagt) haben, wenn man Bücher kostenlos von Verlagen zugeschickt bekommt und auch nicht, wenn man sich für die Arbeit der Erstellung einer Rezension bezahlen lässt. Es wurde viel rauf und runter diskutiert, ob dies die Bewertung beeinflusst. Und ich will mich hier nicht einmischen.
Für mich gilt: Die 50 Bücher im Jahr, die ich lese, kann ich mir selbst leisten und bleibe damit in jedem Fall frei und unabhängig. Und ich weiß, dass es einige anderen auch so machen.

Welche Erfahrung hast du mit Büchern von Selfpublisher*innen gemacht?

Ehrlicherweise habe ich mit Büchern von Verlagen mitunter schlechte Erfahrungen gemacht. Wir bekommen von den Konzernen immer wieder das Gleiche serviert, weil es sich gut verkauft, nicht weil es verlegerisch von Bedeutung wäre. Und nicht selten hätte man sich beim Lesen sehnlichst ein Lektorat gewünscht, das konsequent die schlechten Passagen ausgemerzt hätte. Aber eine solche intensive inhaltliche Begleitung scheint nur noch bei wenigen, lukrativen Werken stattzufinden.
Umgekehrt sind viele Selfpublisher bestens vernetzt, holen sich vor der Veröffentlichung Rückmeldungen zu ihren Werken und zahlen sehr oft aus eigener Tasche ein Lektorat (ohne dass sich das wirtschaftliche „rechnen“ würde). Natürlich gibt es auch die anderen, die einfach ihr Geschreibsel „raushauen“. Um schnell herauszufinden, mit welcher Art von Werk man es zu tun hat – egal ob Verlag oder Selfpublishing – kann man in die fast immer angebotenen Leseproben reinschmökern (Klappentext und Cover sind dafür wenig hilfreich!) – da offenbart es sich fast immer bereits auf den ersten Seiten.

Lesen die Menschen immer weniger? Welchen Trend beobachtest du?

Ja. Leider lesen die Menschen immer weniger – zumindest auf die Mehrzahl der Mitbürger:innen bezogen. Wer gerne liest, hat in der Pandemiezeit mehr gelesen. Trotzdem sind es auch in den letzten anderthalb Jahren wieder weniger Menschen geworden, die überhaupt lesen. Die Streamingdienste, die mit ihren Filmen und Serien inzwischen bereits 80 % aller deutschen Haushalte berieseln können, haben gerade in dieser Zeit einen unglaublichen Zuwachs zu verzeichnen. In dem Blogartikel „Streaming Inc. und Lesekiller KG“ habe ich Zahlen recherchiert und Konsequenzen aufgezeigt.
Wie ich ja schon zugegeben habe, liebe ich auch Serien und Filme. Ich muss selbst aufpassen, dass das „Glotzen“ bei mir nicht überhandnimmt, weil es einfacher, bequemer, aber auch kommunikativer (weil in der Familie/ mit Freunden) ist.
Jeder muss seinen eigenen Weg für ein gute Balance finden.

Wo siehst du deinen Buchblog in fünf Jahren?

Fünf Jahre ist ja fast schon eine sozialistische Planungsdimension. Was in fünf Jahren ist, kann man nicht wissen. Und nach den Erfahrungen der Pandemie, die einige Lebensentwürfe über den Haufen geworfen hat, noch mal weniger.
Eigentlich glaube ich, dass ich keinen Blog mehr schreiben werde. Ist so meine Erfahrung, dass ich Dinge für eine Zeit sehr intensiv betreibe, dass sie dann aber von etwas Neuem abgelöst werden, was wiederum besser passt. Anderseits lese ich seit über 40 Jahren – also werde ich mich vielleicht auch weiterhin darüber austauschen wollen.
Wer weiß …

Wenn du mehr von David uns seinen Rezensionen erfahren möchtest, besuche den Buchblog edition ars und hinterlasse liebe Grüße vom Buchensemble!

➛ Buchblog: Buchemsemble (04.12.2021)