Bestseller (2): Soap Opera in wertiger Fantasy-Verkleidung

Lesedauer: 7 Minuten

Cassandra Clare: City of Bones. Chroniken der Unterwelt Buch Eins ()

ACHTUNG – mein Mainstream-Sensor hat heftig Alarm geschlagen und ich kann nicht anders, als der Sache auf den Grund zu gehen: Warum tickt die Fantasy-Buchwelt, wie sie tickt?

Es gibt nur wenige Reihen im Fantasy, die so erfolgreich sind wie City of Bones (Chroniken der Unterwelt) von Cassandra Clare, die seit 2007 in Sequels und Prequels in einem Weltsetting (Shadowhunter) fortgesetzt auf 50 Millionen verkaufte Exemplare kommt. Zuletzt sind dieses Jahr „Die ältesten Flüche 2“ – eine Geschichte um ein homosexuelles Paar (Schattenjäger Alec und Hexer Magnus Bane) – erschienen und „Die letzten Stunden 2“, das in der Schattenjägerära am Ende des viktorianischen Zeitalters spielt. Insgesamt habe ich mehr als 30 Titel gezählt.
Der Film „The Mortal Instruments: City of Bones“ lief 2013 in den Kinos und die Serie „Shadowhunters“ (2016-2019), ebenfalls auf den Büchern beruhend, brachte es in 3 Staffeln immerhin auf 55 Episoden (deutsch bei Netflix).

Neben Harry Potter und Twilight fallen mir sonst keine Erfolge ein, die eine solche Dimension erreicht hätten. Beide Vorläufer waren übrigens Jugendbücher, die als All-Ager auch gerne von Erwachsenen gelesen wurden. Ist das ein Modell, dass auch bei Cassandra Clare zieht?

Label und Vermarktung

Die beiden Großen, Harry Potter und Twilight erschienen in Deutschland bei Carlsen, der eindeutig als Jugendbuch-Verlag positioniert ist. Die aktuelle deutsche Ausgabe von Cassandra Clares City of Bones dagegen wird in dem vielseitigen Publikumsverlag Goldmann aufgelegt. Man möchte der gewogenen Leserschaft vermitteln, dass hier Fantasy für eine breite Altersschicht vorliegt. Das aber ist City of Bones in in seinem Ursprung nicht. In den USA publiziert Cassandra Clare ihre Werke bei McElderry Books, einem Imprint für Kinder- und Jugendliteratur von Simon & Schuster. Und tatsächlich wurde die erste deutsche Fassung (2007) vom Arena Verlag herausgebracht, der ausschließlich dieses Alterssegment bedient.

All-Ager?

Ist City of Bones also ein Fantasy-Jugendbuch mit All-Ager-Potenzial?
Leider nicht! Finde ich jedenfalls.

Es gibt viele Kinder- und Jugendbücher, die man auch als Erwachsener gerne liest. Ich muss zugeben, dass ich die alte Alana von Trebont-Serie von Tamora Pierce (auch aus dem Arena Verlag) liebe, einige Bücher von Cornelia Funke und viele andere, weil sie grundmenschliche Themen ansprechen und deshalb in manchem alterslos sind. Dumbledores Internat war auf eine magische Art skurril witzig und die Liebe zu einem unsterblichen, guten Vampir immerhin ziemlich neu.
Und wie ist es bei Cassandra Clares Reihe?
Die Star-Autorin erschafft zwar eine durchaus beeindruckende Fantasy-Welt, aber ihre Charaktere, deren Beziehungen untereinander und das gesamte Lebensszenario bleiben einer sehr oberflächlichen Jugendlichkeit verhaftet, die herzlich wenig echte Emotionen heraufzubeschwören vermag, dafür um so mehr Zombie-Dämonen (genannt Forsaken), denen man bedenkenlos die Rübe abhauen kann, was in der unseligen Filmserie szenisch zum Hauptinhalt erhoben wurde (soweit mein Reinschnuppern repräsentativ war). 

Tja. Ich konnte mit diesem Urteil nicht hinter dem Berg halten, wie ihr gemerkt habt. Der Titel des Beitrags hat es auch schon verraten. Und trotzdem lohnt es sich noch einmal genauer hinzusehen, was den Reiz für viele Millionen Leser (und noch mehr Zuschauer) offensichtlich dennoch ausmacht.


Es ist so cool. (…) Es ist wie ‚Dungeons und Dragons“, nur
echt.“ (127)

Vampire und Werwölfe sind das Resultat von Krankheiten, die Dämonen aus ihrer Heimatwelt eingeschleppt haben. Die meisten Dämonenkrankheiten sind für Menschen tödlich, doch in manchen Fällen verändern sie die Erkrankten auf seltsame Weise (…). (113)


Dämonen kommen aus anderen Welten. Es sind eindimensionale Parasiten. Sie dringen in eine Welt ein und zehren sie auf. Sie können nichts aufbauen, nur zerstören (…) Sie verwandeln einen Ort zu Asche, und wenn er tot ist, ziehen sie zum nächsten. (…)

Und das einzige, was zwischen ihnen und der Zerstörung all dessen steht, was du siehst (…) sind die Nephilim.“ (191)

Band 1 – die Dramaturgie

Der erste Band enthält bereits alles an Zutaten, was sich auch in den nachfolgenden Büchern findet.

New York, 2007. In einer In-Disco entdeckt die fast 16-jährige Clary einen hübschen Jungen, der wenig später von einem anderen attraktiven Typen mit einem Schwert bedroht wird. Sie mischt sich vergeblich ein und wird Zeugin, wie der Junge ermordet wird, sich aber unnatürlich in Nichts auflöst – ein Dämon, wie dieser Jace und zwei weitere Schattenjäger behaupten. Niemand anders konnte die Szene beobachten, auch ihr Kumpel Simon nicht. Clary ist verwirrt.

Am nächsten Abend lauert ihr der Schattenjäger auf. Der 17-Jährige Jace will sie an das „Institut“ mitnehmen und ihr alles erklären, aber Clary erhält einen seltsamen Anruf von ihrer Mutter, hastet nach Hause und wird dort von einem Dämon fast umgebracht. Ihre Mutter scheint entführt. Verletzt und auf sich gestellt ist Clary bereit, sich der neuen Welt zu stellen und erfährt von dem arroganten, aber anziehenden Jace, dass sie Engelsblut in sich trägt und damit eine Nephilim, eine Schattenjägerin ist. Seit Valentin, dereinst ein mächtiger Schattenjäger, das Abkommen des Rates mit den Halbdämonen – Hexer, Vampire, Werwölfe … – brach, herrscht Krieg und die Dämonen strömen immer häufiger in diese Welt. Nur der verloren gegangene „Kelch“ könnte das Ungleichgewicht zu Gunsten der Schattenjäger wieder verändern.

Ein Bann unterdrückt bei Clary die Erinnerung an ihre frühe Kindheit. Bei dem Versuch diesen zu lösen und ihre Mutter zu finden, versteht Clary immer mehr und muss sich der Wahrheit stellen, dass ihre Mutter eine berühmte Schattenjägerin war, verheiratet mit dem größenwahnsinnigen Valentin, der vermutlich ihr Vater ist und noch immer lebt. Derweilen scheinen ihr Kumpel Simon und Jace um ihre Aufmerksamkeit zu buhlen, was sie noch mehr verwirrt.

Clary gelingt es, den gesuchten Kelch unter den Sachen ihrer Mutter zu finden (versteckt in einer Tarot-Karte) und versucht damit ihre Mutter auszulösen, die von ihrem Ex-Mann Valentin gefangen gehalten wird. Doch der Kelch geht durch Verrat und ohne den Austausch verloren. Auch Jace verwschwindet. Dann entdecken sie das Versteck von Valentin und greift mit  einem alten Freund ihrer Mutter, einem Werwolf, und seinem Rudel die Festung mitten in New York an …

Verbotene Liebe … in Fantasy (Achtung voller Spoiler-Alarm!)

Ist es schlimm, wenn man bei einer Soap das Ende spoilert? Eigentlich nicht, oder? Es geht ja schließlich immer weiter und alles dreht und verkehrt sich wieder ins Gegenteil. Irgendwann taucht noch ein bisher unbekannter Sohn auf, der Vater ist doch nicht der leibliche Vater, verboten verliebte Geschwister sind nach neuesten Offenbarungen doch nicht blutsverwandt oder vielleicht am Ende (das es nicht gibt) dann doch wieder … Genau so läuft es mit Jace und Clary.
Ist das eigentlich niemandem aufgefallen? Madame Dorothea weissagt Jace aus den Teeblättern schon auf Seite 115: „Du verliebst dich in die falsche Person“. Am Ende schließlich offenbart sich das große Geheimnis (für die unaufmerksamen Leser): Jace und Clary – fast schon ein Liebespaar – sind Geschwister. Aber natürlich bleibt es nicht dabei und in den Folgebänden geht es noch einmal hin und her, ob oder ob dann doch nicht … Wenn das nicht Soap Opera ist, weiß ich auch nicht.
Mich lässt das völlig kalt. Das sind keine wirklichkeitsnahen Beziehungs-Konstellationen, zu denen man sich mit echten Gefühlen verhalten müsste. Das ist künstlich und quotenorientiert. Das ist wie „Verbotene Liebe …“ (deutsche Soap von 1996-2015, seit 2020 wieder gestartet!). Man darf das ja gut finden und trashig sein, aber gut ist so etwas definitv nicht.

Und die Weltkonstruktion? Die ist fantasievoll ausgearbeitet mit vielen dunklen Wesen, aber dennoch in ihrer Grundmachart wenig innovativ. Ein Beispiel: „Der Erzengel gab den ersten Schattenjägern drei Dinge: einen Kelch, ein Schwert und einen Spiegel“ (251). Drei magische Gegenstände, um die natürlich in den Folgebänden gekämpft werden muss, weil sie der Schüssel zur Macht sind. Gibt es ein noch klassischeres Fantasy-Arrangement? Für mich ist das tot langweilig.

Stilistisch wollt ihr garantiert nicht lesen, was ich alles anzumerken hätte, denn das wäre lang und ermüdend. Nur so viel: Die Erzählperspektive wird munter und unmotiviert gewechselt (Bsp. S.16, 2. Satz), ohne dass sich etwas an der Art der Beschreibung oder Sichtweise ändern würde. Ich reagiere auf solche schlecht gemachten Kunstgriffe allergisch. Aber auch das scheint kaum jemandem aufgefallen zu sein.

Und warum ist diese  Fantasy-Soap dennoch so beliebt? Es gibt garantiert psychologische Studien, warum gerade das Wiederholende und immer Gleiche einen so großen Reiz ausübt. Dass es bei Soap Operas so ist, dürfte unbestritten sein. Und einer Soap Opera kommt die Reihe von Casssandra Clare sehr, sehr nahe.

Fazit

City of Bones ist – auch auf die Gefahr von Shitstorm hin – Trivialliteratur.
Wenn man sich damit arrangiert hat, zu einem Publikum zu gehören, das Soap und Mainstream-Trash liest, hat man mit diesem Buch noch eines der besseren in diesem Segment erwischt. Den Fantasy-Liebhaber erwartet immerhin noch eine gut ausgearbeitete Weltkonstruktion und magische Kämpfe, insofern kommt die Reihe in meiner Kritik etwas besser weg als Jennifer Armentrouts Schatten-Serie (➛Bestseller (1): Liebesgeschichte mit Alien), die noch nicht einmal ein faszinierendes Setting vorweisen konnte.

Dem Ruf von Fantasy bei einem literarisch interessierten Publikum wird es leider nicht guttun, dass solch erfolgreiche Bücher wie ein Aushängeschild für das ganze Genre wirken.

Für mich und jeden anderen anspruchsvollen Leser von Fantasy bedeutet das leider auch folgendes:
Ich muss bei den Publikumsverlagen Heyne, Piper, dtv, Goldmann, Klett Cotta und anderen aufpassen, was mir als Fantasy untergeschoben wird. Und das ist ein altes Problem dieses Marktes.
Fantasy nennt sich alles, was mit Fantasiewesen und Magie zu tun hat – mehr klare Unterscheidungskriterien gibt es kaum. Man kann einem Buch dieses Genres nicht ansehen – außer vielleicht am Cover -, welche lebensweltliche Thematik mich als Leser erwarten und wer als Zielpublikum angesprochen werden soll.
Aber darüber habe ich mich an anderer Stelle leidlich lange ausgelassen  (➛Das Marktspektrum) …

Cassandra Clare:  City of Bones. Chroniken der Unterwelt, Goldmann 2017 (2007), übersetzt von Franca Fritz und Heinrich Koop.


Hintergrundinfos:

Die Webseite der Autorin und von Shadow Hunters
Ein absolut sympatisches Interview mit Cassandra Clare (und Holly Black) über Magie und anderes …
Die Bücher in der Reihenfolge

Andere Blog-Rezensionen …

… gibt es bei einem Buch, das bereits seit 2007 auf dem Markt ist, natürlich viele. Aber tatsächlich habe ich keine aktuellen Blog-Rezensionen gefunden, die außer einer sehr subjektiv formulierten Begeisterung auch einen kritischen Blick darauf werfen. Falls ich etwas übersehen haben sollte, verlinke ich das gerne.
 
Literatur interpretiert Literatur
Das Zitat stammt dieses Mal von einer guten Freundin von Cassandra Clare, mit der sie mehrere Bücher gemeinsam geschrieben hat. Im Stil und den Themen ähneln sich die beiden Autorinnen zum verwechseln. 
 

Ich beuge mich vor, nahe genug für einen Kuss. Als Kardan die Augen aufreißt, sehe ich eine Mischung aus Panik und Verlangen in seinem Blick. Es steigt einem zu Kopf, solche Macht über jemanden zu haben. Über Cardan, von dem ich annahm, er hätte überhaupt keine Gefühle.

„Du begehrst mich wirklich“, sage ich so nahe, dass ich seinen warmen Atem spüre, als er stockt. „Und es bringt dich fast um“. Ich setze den Dolch in einem anderen Winkel an seinen Hals, doch er wirkt nicht halb so erschrocken, wie ich es erwarte. Nicht halb so erschrocken wie jetzt, da ich meine Lippen auf seinen Mund lege. (…)

Im Küssen habe ich wenig Erfahrung. (…)  Als er die Augen schließt, streifen seine Wimpern meine Wange. Ich erschauere, wie man es angeblich tut, wenn jemand über das eigene Grab läuft.

Holly Black, Elfenkrone, cbt 2020 (engl. 2018), 272 f.

 

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