DER GREIF – made in Germany

Lesedauer: 15 Minuten

Verfilmung eines deutschen Fantasy von Heike und Wolfgang Hohlbein

Kein Wunder, dass Fantasy made in Germany sich durch ein Buch von Heike und Wolfgang Hohlbein inspirieren ließ. Sucht man nach Stoffen, landet man in Deutschland unweigerlich bei genau diesem Erfolgsautoren-Paar. In meiner Jugend (80er) gab es gefühlt (und auch real) an bekannten Namen in diesem Genre sonst nur noch Michael Ende. Doch: Ist das mit über 30 Jahren leicht angestaubte Werk eine erfolgversprechende Wahl für eine Verfilmung?
Amazon Prime als einer der Großen hat mit „Der Greif“ vorgelegt. Paramount+ (über Sky und Prime zu abonnieren) veröffentlichte fast gleichzeitig „Kohlrabenschwarz“ nach dem Mystery-Krimi von Ehepaar Krappweis und Christian von Aster. Bei Netflix soll die „MondSilberLicht-Saga“ von Marah Woolf (The Winner is … Romantasy) folgen. Das ist in jedem Fall ein Grund für die deutsche Fan-Gemeinde sich zu freuen.
Bleibt die Frage, wie es kommt, dass deutsche Fantasy jetzt wieder verfilmt wird, nachdem vorherige Versuche wie Cornelia Funkes „Der Herr der Diebe“ 2006 und „Tintenherz“ 2008 beim Publikum floppten. Und: Ist es wirklich ein Segen, welche Kriterien die Produktionsfirmen anlegen und wie sie es umsetzen?
Dazu habe ich mir anhand von „Der Greif“ ein paar unfertige Gedanken erlaubt, die ich mit euch teile.

Der Kampf um Quoten tobt …

Man muss wissen, dass der Markt der Streaming-Anbieter härter umkämpft ist denn je ( Streaming Inc. und Lesekiller KG). In diesem Segment ist in Europa kaum Wachstum mehr möglich – die Sättigung der Haushalte mit Streaming ist bereits sehr hoch -, sondern fast nur noch „Verdrängung“. Alle Anbieter müssen um ihr Publikum buhlen und immer weitere quotenstarke Serien produzieren. Die Abonnenten wollen gehalten und neue abgeworben werden, damit sich das Geschäft lohnt.
Ein Vorteil dabei: Die Großen investieren in die lokale Filmindustrie, die nahe am jeweiligen Publikum ist, und lassen vor Ort drehen, was sich aktuell bei deutschen Produktionsfirmen eindeutig positiv auswirkt. Erst dadurch wurde es überhaupt möglich, Stoffe von deutschen Autor*innen umzusetzen. Und gerade Fantasy-Serien wie GoT hatten alle Einschalt-Rekorde gebrochen, aber auch andere  aus Übersee wie „Stranger Things“, „The Witcher“ und „Das Rad der Zeit“ kamen sehr gut beim Publikum an. Also lag es nahe, sich auch in Deutschland bei derjenigen Fantasy zu bedienen, die bereits bekannt ist.
Daraus ergibt sich wiederum direkt der Nachteil. Die Finanzierung durch die großen Anbieter bedeutet in der Natur der Sache eine Selektion nach rein wirtschaftlichen Kriterien: was beim breiten Publikum ankommt. Und nichts scheint dafür Vielversprechender als Werke, die am Buchmarkt erfolgreich waren. Man darf vermuten, dass kaum darauf geschaut wird, welche literarischen und erzählerischen Qualitäten eine Vorlage besitzt, Hauptsache es gibt genug Fans, die sich darauf freuen und damit Quote versprechen.
Im Fall von Marah Woolfs MondSilberLicht-Saga habe ich mich schon darüber ausgelassen, dass meine Freude über die Verfilmung dieser sehr seichten (aber extrem erfolgreichen!!) Jugendbuchreihe begrenzt ist (The Winner is … Romantasy). „Kohlrabenschwarz“ von T.Krappweis/ P.v.Aster habe ich bisher weder gelesen (bzw. gehört – ist originär ein Hörspiel) noch gesehen (hole ich nach!). Aber „Der Greif“ fiel mir bereits als junger Erwachsener in die Hände – aus aktuellem Anlass habe ich ihn nun neu gelesen und mich durch die 6 Folgen der ersten Staffel gebinge-watched.

Hohlbein: Der Greif

Was der Meister zu bieten hat …

Mit seinen über 40 Millionen verkauften Exemplaren gehört Wolfgang Hohlbein (z.T. zusammen mit seiner Frau Heike) zu den erfolgreichsten deutschen Autor*innen schlechthin, im Fantasy ist er der ungeschlagene Meister. 200 Bücher in 40 Jahren – das ist nicht zu übertreffen. „Märchenmond“ (1982), ein fantastischer Jugendroman, machte die Hohlbeins berühmt, „Elfentanz“ (1984), „Der Greif“ (1989) und „Schattenjagd“ (1996) untermauerten den Erfolg wie auch zahlreiche Reihen (z.B. „Der Hexer von Salem“) und Heldengeschichten (vorwiegend von Wolfgang geschrieben).
Tatsächlich traf „Märchenmond“ als Jugendlicher genau meinen Geschmack, eine Mischung aus Herr der Ringe, Brüder Löwenherz und Kampfstern Galactica. „Elfentanz“ – diese wunderbare Geschichte über das Verschwinden der Magie aus unserer Welt – hatte mich noch mehr berührt. Und „Schattenjagd“ griff die Welt der Computer-Spiele in so humorvoller und treffender Weise auf, dass ich selbst als gealterter Student noch echten Gefallen daran fand. Bestimmt 15 Bücher meiner Bibliothek stammen aus der Feder Hohlbeins. Aber, das muss ich auch sagen: Seit gut 25 Jahren habe ich keines mehr von diesem Autor*innenduo gelesen. Die Verfilmung bot einen willkommenen Anlass, noch einmal in die Welt der Hohlbeins einzutauchen und einer fast vergessenen Faszination nachzuspüren.

Der Greif. Eine phantastische Geschichte

Die Handlung
Den Inhalt von über 600 Seiten knapp wiederzugeben und trotzdem einen passenden Eindruck zu vermitteln … Hm, vielleicht so:
Mark und sein Bruder Thomas sind Nachkommen einer alten Dynastie von Steinmetzen, die ein dunkles Erbe von Generation zu Generation weitergeben. Marks Vater ist verschwunden und sein großer Bruder nimmt ihn immer wieder auf Stippvisite mit in eine andere Welt, in der Steinfiguren zu leben scheinen. Als Mark 13 Jahre alt ist, werden sie dort angegriffen, Thomas kehrt nicht zurück und auch Mark entkommt nur mit knapper Not. Von der Polizei verfolgt findet er seinen Bruder wieder, der mit dunklen Mächten verbunden scheint, und flieht in die andere Welt, den Schwarzen Turm. Dieser Zufluchtsort für gestrandete Existenzen ist riesig, aber bedroht durch den Greif, der mit seiner Armee von teufelartigen Gehörnten die Herrschaft über alles im Schwarzen Turm anstrebt. Mark gerät in Gefangenschaft, arbeitet monatelang lethargisch in den Steinminen, zettelt erfolgreich einen Aufstand an, kämpft schließlich mit dem „Lot“ seines Vaters gegen den Greif und verwandelt ihn zurück in Stein … nur um festzustellen, dass nun sein Bruder die Herrschaft übernimmt.
Der desillusionierte Mark wird aus der Welt des Schwarzen Turms verbannt und in ein seltsames Heim gesteckt. Es dauert eine Weile, bis er wachgerüttelt wird und beschließt, gemeinsam mit Kommissar Bräker, den er von der Existenz des Schwarzen Turms überzeugen kann, gegen seinen Bruder zu kämpfen. Doch Thomas scheint inzwischen so viel Macht zu besitzen, dass er auch in der realen Welt mit seinen Schergen agieren kann. Das Finale findet in einer alten Kapelle statt – Thomas ist zum Greif geworden und genauso böse … denn das ist der Fluch: Wer sich die Macht mit Gewalt nimmt, wird selbst böse. „Und (…) wenn er seinen eigenen Bruder tötete!-, dann würde er selbst zum Greif werden“ (602).
Natürlich gibt es eine Auflösung dieses Fluches, der jedoch wieder Gewalt bedeutet, an die Story von Luke mit Darth Vader erinnert und mich kein bisschen überzeugt hat!

Fantasy mit altbewährten Erzählmustern
Der Schreibstil von Wolfgang Hohlbein erinnert mich an einen typischen Karl May, der das jugendliche Gemüt durch (1.) ständige abenteuerliche Begebenheiten, (2.) einen grundguten Helden und (3.) der intensiven Darstellung einer ganz fremden Welt zu faszinieren versucht. Und ja, das hat zugegeben seinen Reiz, aber eben nicht nur …
1. Die Taktzahl der Ereignisse und Wendungen in der Geschichte ist hoch, wenig Zeit zu verweilen, außer bei dem Gespräch mit dem Pfarrer (265), das einen fast philosophischen Dialog über den Sinn der Endlichkeit des Daseins bietet. Sonst aber herrscht eher hektisches Voranschreiten der Handlung vor, die man als atemberaubend empfinden kann oder als atemlos torkelnd.
2. Der 13-jährige Held Mark, aus dessen Perspektive alles beschrieben ist, macht sich seine Gedanken über das Leben, Macht und Gewalt, was sehr sympathisch und altersgerecht rüberkommt, aber eben auch nicht mehr an Komplexität zulässt, als in ein Teenie-Hirn (meine Kinder mögen mir verzeihen!!) reinpasst.
3. Die Übergänge zwischen der Realität der 80er Jahre und dem teils wie ein Paradies anmutenden Schwarzen Turm – wäre da nicht der Greif und seine teufelartigen Gehörnten – sind fließend. Diese andere Welt besteht schon lange, wurde dann aber von einem der Steinmetz-Vorfahren aus Hass mit dem Greif korrumpiert. Mark kann als Erbe der Tradition über die Dächer in das andere Reich hinübertreten, andere wie Sarn scheinen einen Doppelexistenz auf beiden Seiten zu führen. Die lebendigen Engel aus Stein auf dem Dach haben die Funktion von Wächtern zwischen den beiden Seiten. Verzweifelte Menschen scheinen von sich aus dort hin zu finden. Wie, das weiß man nicht. Alles ein bisschen unscharf und wenig weltenbauerisch abgesichert, muss ich sagen.
Wer eine Botschaft hören will, findet sie. Was aus Hass geboren wurde (der Greif), kann nicht mit Gewalt besiegt werden. Gewalt ist kein Weg. Doch das Ende scheint wiederum das Gegenteil zu lehren: Einer muss immer den Preis bezahlen und zwar durch Gewalt …
Wie jetzt also?

Die beste Vorlage?

„Aber das ergibt doch keinen Sinn“ (504) mokiert sich der trottelige Kommissar über Marks Geschichte und man möchte ihm zustimmen. Bei vielen Thrillern und Krimis ist es keine gute Idee, das Buch noch einmal zu lesen. So auch hier. Die Spannung, die Wolfgang Hohlbein seinen Büchern oft verleihen kann, treibt den unbedarften Leser beim ersten Mal durch die Handlung, aber wenn man als Wissender genau hinschaut, eben beim zweiten Mal, ist vieles komplett unstimmig. Personen z.B. wandeln sich ohne vorherige Anzeichen ganz grundsätzlich in ihrem Wesen wie Sarn, Dr. Mertens und der Polizist Bräker (ohne zu sehr zu spoilern). Natürlich gibt es angedeutete Erklärungen dafür, aber selbst im Fantasy muss eine Erklärung innerhalb des Weltenbaus gut passen. Diese Art von 180 Grad Shifts entbehren der psychologischen wie auch mysteriösen Rafinesse. Das sind durchschaubare Taschenspielertricks, die ich noch nie ausstehen konnte.
Diese Buch wirkt wie viele von Wolfgang Hohlbein schnell und in einem Rutsch herunter geschrieben, einfach aus dem Kopf heraus ohne an Details und der Stimmigkeit der Gesamtkonstruktion in irgendeiner Weise zu feilen. Manche Werke sind trotzdem sehr gut gelungen, andere (nicht wenige) eben eher nicht. Wolfgang Hohlbein macht in Interviews keinen Hehl daraus, dass er an seinen Büchern nicht nacharbeitet (wohl aber die Ideen bis zur Reife in sich herumträgt, bevor er loslegt). Ich finde, dass man das leider in negativer Weise merkt. Passagen, die genial sind, stehen in diesem Werk z.B. neben ziemlich holprigen Szenen – das und andere Unstimmigkeiten sind Mängel, die ich als heutiger Leser nicht mehr verzeihe.
„Der Greif“ gehörte auch früher nie zu den Büchern, die ich empfohlen hätte. Die jetzige Relektüre fühlte sich aber noch mühsamer an als erwartet. Der Nimbus des Meisters hat bei mir sehr gelitten, muss ich sagen.
Stoff für einen interessanten Fantasy bietet das Buch dennoch. Und ja, die Showrunner (wie man es in Film-Neudeutsch inzwischen nennt) sind die Serie ganz anders angegangen.

DER GREIF - Serie

Am Rande des Wahnsinns …

Die zentralen Handlungsstränge aus dem Buch habe ich auf den Bildschirm kaum wiedergefunden, insofern macht es gar nichts, wenn man die Vorlage nicht kennt.
Krefelden in den 90ern. Mark ist jugendliche 16, traumatisiert vom Selbstmord seines Vaters, ein Sonderling in der Klasse, Dealer für Musiktapes an der Schule, hochgradig psychisch labil mit Wutanfällen und Selbstverletzung und in die neue Mitschülerin Becky verliebt. In der Freizeit arbeitet er im Plattenladen seines älteren Bruder Thomas, der übrigens durch einen längeren Psychiatrie-Aufenthalt stigmatisiert ist.
Alles ganz schön psycho. Als Mark zu seinem Geburtstag die „Chroniken“ über den Schwarzen Turm von seinem Bruder erhält und darin liest, springt er direkt in die andere Welt, wird dort von einem gehörnten Krieger gejagt und gerät unter Todesangst wieder zurück. Mit diesem Horrortrip wird die Doppelwelt auch für ihn zur Realität. Sein Bruder Thomas macht sich auf, den grausamen Herrscher des Schwarzen Turms zu besiegen, wie es die Aufgabe eines Zimmermann(so auch der Nachname!)-Sohns ist. Mark will ihm folgen. Doch seine Mutter, die seit dem Selbstmord ihres Mannes alles für Wahn hält, verfällt in panische Angst, dass Mark wie sein Vater und Bruder in die Psychose abdriftet, und ruft die „weiße Minna“ (wie man bei uns früher sagte). Irgendjemand in Gestalt von Mark bringt die Wärter der Psychiatrie kurzerhand um. Als überführter Mörder, für den jeder ihn nun halten wird, kann er nicht mehr in Krefelden bleiben. Und wir erfahren, dass dies alles auf Geheiß des Greifs geschieht, dem prominente Helfer in unserer Welt dienen und der mit Mark seinen eigenen Plan hat …
Das ist natürlich nur ein Teil des Plots der sechsstündigen ersten Staffel. Ein bisschen nehmen wir an der beginnenden Liebesgeschichte von Mark und Becky teil. Und wir werden auch in das Leben anderer Mitschüler mitgenommen, die schließlich gemeinsam eine Party organisieren, die im blanken Horror durch ein aus dem Schwarzen Turm stammenden Monster endet.

Psycho-Horror-Trip statt Abenteuer

Die beiden Macher der Serie, Sebastian Marka und Erol Yesilkaya, setzen ganz auf den Schrecken, der in das beschauliche Stadtleben der Jugendlichen hereinbricht. Dabei kommt dieser Horror nicht unerwartet oder plötzlich, sondern er schleicht sich in der düsteren Psycho-Stimmung langsam heran, bis er in Gestalt von Mord und einem schülerfressenden Monster zuschlägt. Handwerklich gut inszeniert ist dieser Horror-Trip durchaus, teilweise psychisch motiviert und zum anderen durch die Mächte aus dem Schwarzen Turm, die leise und brutal Einfluss auf die Familie von Mark und seine Freunde nehmen.
Die Welt des Schwarzen Turms dagegen und der Greif selbst wirkten auf mich irgendwie – ich kann es nicht anders sagen – klein. Mit einem magischen Gegenstand, einem Tor, das in die andere Welt führt, und dem Kampf gegen den dunklen Herrscher sind eigentlich genug Fantasy-Elemente geboten, aber trotzdem will diese kleine Horde von Gehörnten und ihr Herrscher, der durch Nervenmanipulation seiner Krallen an Menschen spricht, nicht so richtig an Substanz gewinnen oder sich gar als eine „Naturgewalt“ (wie im Buch beschrieben) in die Hirnwindungen schreiben. Gruselig ist das Quälen, aber es verleiht dem Geif in keiner Weise den Nimbus des unendlich Bösen, eher so den eines sadistischen Kleinfürsten.
Der schwarze Turm und damit der eigentliche Fantasy-Anteil bleibt in der ersten Staffel als Welt sehr blass, während die 90er Jahre in einer nordrheinwestfälischen (?) Stadt, in die das nackte Grauen Einzug hält, durchaus sehr plastisch werden. Das ist eine komplett andere Storyline, die mit der Hohlbein-Geschichte wenig gemeinsam hat. Um eine neue Ära der Fantasy im deutschen Film zu beginnen, wäre diese Ablösung vom alt und schal gewordenen Meister kein schlechter Start. Keine Frage. Aber eine Teenie-Geschichte als Psycho-Horror-Trip zu inszenieren macht leider noch lange keinen interessanten Fantasy. Nur zu Schocken ist noch kein Weltenbau. Da ist noch gehörig Luft nach oben.

„Man kann Hass nicht mit Hass bekämpfen“ …

… sei die Botschaft der Serie, wie uns die Showrunner im dritten Teil des Making-of wissen lassen (auf Prime). Wer zum Teufel käme auch auf eine solche Idee? Den Satz an sich verstehe ich nicht. Klingt wie eine Botschaft an die Facebook-Generation, dass man Hass-Posts nicht durch böse Kommentierungen auslöschen oder die Menschen dahinter überzeugen kann. Gemeint ist aber vermutlich folgendes: Da der Greif durch einen Vorfahren von Mark aus Hass gegen seinen Grafen entstanden ist, kann man nun den aus Hass bestehenden Greif nicht mit dem gleichen Mittel besiegen … Nur dass dieser Hintergrund in der ersten Staffel überhaupt noch nicht verständlich wird. Auch, dass Mark in der dramatischen Schlussszene nicht gegen den Greif kämpfen will, ihn dann aber doch schwer verletzt, ist eine ebenso ad absurdum geführte Message wie im Buch. Gewalt und Grausamkeit gibt es in dieser Serie mehr als genug. Und darüber hinaus einen ziemlich unsensiblen Umgang mit dem hoch komplexen Thema der Selbstverletzung bei Jugendlichen und deren therapeutische Behandlung.
Warum der Greif sogar eine Serie „mit einer wahrhaftigen moralisch richtigen Aussage“ sein soll, wie von den Machern (Making-of Teil 3) proklamiert, verstehe ich gar nicht. Erstens: Warum muss eine Serie überhaupt eine moralisch richtige Aussage liefern? Und zweitens. Jungs, wie um alles in der Welt kommt ihr darauf, dass diese unsensible Horror-Geschichte eine solche Aussage transportieren würde?

Fazit

Ich hätte so gerne einen durchweg positiven Artikel über den Alt-Meister und das lang erwartete Ereignis der Verfilmung geschrieben. Das hat nun gar nicht geklappt.
Die Faszination für die phantastischen Abenteuer-Geschichten aus der Feder der Hohlbeins ist dahingeschwunden. Das Autoren-Paar gehörte zu den ersten dieses Genres in Deutschland, weshalb sie in meinen jungen Jahren diese Faszination auslösen, nach 40 weiteren Lesejahren und -erfahrungen aber nicht mehr einlösen konnten. Die Erzählweise ist schlicht zu simpel gestrickt.
Die Umsetzung als Serie schuf eine ganz eigene Story und Szenerie und muss unter anderen Gesichtspunkten beurteilt werden. Visuell durchaus auf der Höhe der Zeit und deshalb hinsichtlich Special Effects für made in Germany vielleicht sogar ein kleiner Meilenstein. Aber mit Blick auf „Fantasy“ und Vergleichbarem beurteilt, hat es mir persönlich zu viel von der Realität der 90er Jahre heraufbeschworen, wogegen die Welt der anderen Seite, des Schwarzen Turms, wenig lebendig und plastisch wird, sondern nur als Albtraum in Gestalt von Horror über das Leben von Teenagern hereinbricht.
Für den jung gebliebenen Teil in mir, der sich nach Verzauberung sehnt, hatte die Serie nicht viel zu bieten. Die Magie von „DER GREIF“ ist auf der Fantasy-Landkarte unendlich weit entfernt von Westeros zu finden …
Vermutlich würde ich mir die zweite Staffel trotzdem ansehen, wenn sie denn gedreht wird, nur um zu sehen, ob eine Steigerung des Fantasy-Feelings gelingt. Denn von der Story über den Schwarzen Turm ist vieles noch nicht verfilmt. Einen Hohlbein-Roman allerdings werde ich wohl in Zukunft nicht mehr lesen …
 

Wolfgang und Heike Hohlbein: Der Greif. Eine phantastische Geschichte, Ueberreuter 1989, 612 Seiten.
DER GREIF (Hohlbeins Der Greif), Amazon Studios, Regie: Sebastian Marka (Folgen 1, 2, 5 und 6) und Max Zähle (Folgen 3 und 4), Idee: Sebastian Marka und Erol Yesilkaya, Amazon Prime Mai 2023.


Weiterführende Links:

Video-Interview mit Wolfgang Hohlbein zur Serie
Video-Interview mit Wolfgang Hohlbein zu seiner Schriftstellerei
TV-Kritik der RZ
Interview im Tagesspiegel mit dem Showrunner Sebastian Marka


Wolfgang und Heike Hohlbein: Der Greif
Sophie Bonnet: Provenzalische Täuschung
Rudolf Braune: Das Mädchen an der Orga Privat
Thomas Ziebula: Der rote Judas
Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland
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