Abgespaced!

Lesedauer: 17 Minuten
Space Opera

Abgespaced!

[Dieser Artikel erscheint in leicht gekürzter Form im Weltenportal 5, Hg. Christoph Grimm.]

SPACE OPERA – Science Fiction Soap Opera kann anders sein

1. Ein Subgenre im Wandel

„Vorwärts ihr Affen. Wollt ihr ewig leben“ – und los geht’s: hochentwickelte Primaten knallen bösartige Aliens ab – der Anfang von Starship Troopers (1959). Gefechte zwischen verschiedenen Spezies im finsteren Weltraum à la Robert A. Heinlein
Das war früher mein Bild von dem, was gemeinhin als Space Opera gilt. Western, bloß eben in der Zukunft, statt dem Pferd einen Hyperspacedrive unterm Hintern, den Blaster locker im Halfter, Schießreflex im neuronal verstärkten Rückenmark, der Rest des vernetzten Hirns gut für derbe Sprüche. Punkt. Mehr nicht. Und: Ja. So ganz falsch ist das Bild gar nicht mal …
Höre ich da die Science-Fiction Fans protestieren? – Mal langsam, nicht vergaloppieren, brrr … runter vom Ross, hurtig ans Lagerfeuer gesetzt und bei einem heißen Kaffee gelauscht, was die Vergangenheit uns für Geschich­ten zu erzählen hat.

Vom Pferd zur Seife

Es begann nämlich, als eine findige Waschmittelfirma in den 1930ern Hörfunksendungen sponserte, die regelmäßig fortlaufende Alltagserzählungen lieferten, natürlich stets mit Werbung eingeflochten. Dieses Format war so erfolgreich (und für den „Seifen“-Hersteller unglaublich lukrativ), dass es im aufkommenden Fernsehen sofort übernommen (Werbeblöcke ausgedehnt!) und abwertend Soap Opera (eigentl. „Seifen-Werk“, aber als „Seifen Oper“ übersetzt) genannt wurde. Fortan war die daily soap geboren und nicht mehr aus der Telewelt wegzudenken.
Und wo ist jetzt der Bezug zur Western-Lagefeuer-Romantik? – Ja, sorry, fast vergessen. Noch etwas früher, nämlich in den 1920er Jahren wurde der Begriff „horse opera“ geprägt für ziemlich klischeehafte Western-Machwerke, mit dem lonesome, aber schießwütigen Cowboy und eben seinem Pferd. Man hat dann schlicht umgesattelt von „horse“ auf „soap“. Das sich Wiederholende und Klischeehafte, die Austauschbarkeit und die Endlosschleife haftet weiterhin als unschöner Beigeschmack an.

… und zum Weltraum Werk

Weltraumabenteuer, die in den 1930er Jahren populär wurden, blieben nicht unbeeinflusst vom Erfolgsmodell Soap Opera – Flash Gordon wäre hier zu nennen –, so dass aus den Reihen namhafterer Autoren der Science-Fiction (z.B. organisiert im „Galaxy Magazine“) in Anlehnung an Soap die Bezeichnung Space Opera aus der Taufe gehoben wurde und zwar als bewusste Abgrenzung der kommerzialisierten Stangenware mit Western-Touch gegenüber ihren eigenen, künstlerischen (Technologie-Innovation getriebenen) Werken. Hart. Wusstet ihr das?
Lange Zeit haftete der Space Opera als Subgenre der Science-Fiction das zweifelhafte Image an, ähnlich wie im Western die Eroberungsgeschichte der Besiedlung im Kampf gegen andere, meist niedere Rassen und Wesen nur eben im Weltraum zu reproduzieren – „Star Trek“ mit dem entlarvenden Titel (Siedlerzug zu den Sternen) machte hier keine Ausnahme. Heinleins militärische Weltraum-Abenteuer aus den 60ern und 70ern setzten den negativen Trend im militär-romantisch und kolonialistischen Stil fort – die Zeit des Kalten Krieges.
Mit der Star Wars Saga, vor allem aber der Next Generation bei Star Trek wuchs nicht nur die Beliebtheit rasant, sondern – so meine ich – die Space Opera auch über sich hinaus, indem sie die kulturelle Auseinander­setzung (auf Augenhöhe) mit nichtmenschlichen Zivilisationen stärker als die militärische thematisierte. Zeitgleich bedeutete auch die Auflösung der Ost-West-Blöcke mit ihrer Entspannungspolitik in den 90ern eine Wende zu friedlichem Wettbewerb. Werke mit hoher literarischer Finesse wie Frank Herberts Wüstenplanet-Zyklus, Stephen Baxters Xeelee Sequence, Dan Simmons Hyperion Gesänge und viele andere mit ähnlicher Qualität verstärkten die Tendenz, das Subgenre zu rehabilitieren und spätestens bis zur Jahrtausendwende in den Status allgemeiner Anerkennung zu erheben.
Kennzeichnend für Space Opera bleiben die Konflikte im Kontext von interplantarer Weltraumfahrt in einer epischen Länge mit beständigen (sich evtl. weiterentwickelnden) Charakteren. Einzelne Bücher werden inzwischen häufig als Space Opera bezeichnet, sofern sie im Weltraum spielen. Aus der geschichtlichen Herleitung des Genre-Begriffs passt das nicht. Einzelwerke sind eher Weltraum-Romane, Space Adventures, Space Science Fiction … Für eine Space Opera braucht es schon mehrere Bände (oder einen ganz langen), eben einen gewissen Seriencharakter.
Jetzt will ich allerdings mal wieder aufsatteln und mit euch einen kleinen Ritt durch aktuelle Ausprägungen der Space Opera machen, um zu überprüfen, ob sich die Abkehr vom ewig gleichen westernhaften Heldentum bestätigt oder es im Grunde doch bei der interstellaren Variante der Horse Opera geblieben ist.

 

Arkady Martine

2. Mitten im Herz liegt der Abgrund

Diplomatie im Angesicht der Vernichtung

Welt, Imperium und der Name der Hauptstadt – das alles ist identisch, nur ein Wort im Teixcelianischen, der Sprache des Reiches, welches die halbe Galaxie umspannt, seit 80 Jahren von einem Mann, seiner Imperialen Majestät Sechs Vektor, friedlich regiert, sofern man gewillt ist, permanente Unterwerfung und Ausdehnung ohne nennenswerte Kriege als „friedlich“ zu werten. Mahit Dzmare ist sich dieser Propaganda wohl bewusst. Für ihre Heimat, der autonomen Bergbau-Kolonie Lsel, kämpft sie als frisch ernannte Diplomatin um Unabhängigkeit, indem sie versucht, das riesige Reich vom eminenten Nutzen der nur 30.000 Einwohner zählenden Enklave zu überzeugen. Aber wie?
Mahits Vorgänger liegt tot im Leichenschauhaus, als sie ihre Stelle antritt, und auch sie entgeht nur knapp mehreren Anschlägen. Was sie zunächst nur ahnt, wird bald zur Gewissheit: Die Imago-Technik, eine Errungenschaft ihrer Heimat, womit ausgewählte Ahnen sehr aktiv im Gedächtnis präsent bleiben und deren Wissen nutzbar ist, weckt Begehrlichkeit und Hass auf allerhöchster Ebene. Wollte ihr Amts-Vorgänger, den sie dank der Imago-Technik in einer veralteten Version in ihrem Kopf hat, damit um den Fortbestand von Lsel dealen? Mit Hilfe der ihr zugewiesenen Kulturreferentin, Drei Seegras, die bald zur Freundin und mehr wird, navigiert sie durch die höfischen Intrigen des Imperiums und kann eine viel wichtigere Information in die Waagschale für die Erhaltung der Unabhängigkeit ihrer Heimat werfen …

Arkady Martine

Der Zweiteiler „A Memory Called Empire“ (2019, dt. „Im Herzen des Imperiums“) und „A Desolation Called Peace“ (2020/22 dt. „Am Abgrund es Krieges“) von der Newcomerin Arkady Martine wurde gleich doppelt (20 u. 22) mit dem Hugo Award ausgezeichnet (eine Seltenheit!), was die Autorin in eine Reihe mit Größen wie J.K. Rowling und Neil Gaiman stellt – ein kometenhafter Aufstieg. Mit bürgerlichen Namen heißt Martine Dr. AnnaLinden Weller, sie ist Historikerin, Jüdin, Lesbierin, Klimaaktivistin und träumt davon, irgendwo, wenigstens in ihrem Kopf in einer Welt anzukommen und zuhause sein zu können (Rede zum Hugo Award 2020).
Einen Platz unter den Großen hat sie jedenfalls jetzt schon gefunden. Mit dem zweiten Teil ihres Werkes dehnt sich die Perspektive auf die Auseinandersetzung mit einer neuen Spezies aus, die ganz anders funktioniert als ein Imperium und schon allein die kommunikative Verständigung kaum möglich scheint. Auch hier wird sich das Wissen der kleinen Isle-Station, die unmittelbar bedroht ist, in Gestalt der Diplomatin Mahit als hilfreich erweisen. Und so schließt sich der Kreis zu einer echten Space Opera.

Filigrane Konstruktion

Das Imperium von Martine ist eine Planeten überspannende Hochkultur zweifelhaften Charakters, in der poetische Formen der Höflichkeit eine bedeutendere Rollen spielen als Offenheit oder gar Individualität. Scharaden und Intrigen hinter der glänzenden Außenfassade am Hof und eine rigide computergesteuerte Polizei zeugen von der Brüchigkeit des Systems in seinem Inneren. Eine filigran aufgebaute Konstruktion, die mit wenig Technik, ausreichend Action (im zweiten Band auch mit vereinzelten Weltraumkämpfen), vielen Beschreibungen und noch mehr inneren Mono- und Dialogen (Zwiegespräch mit der Imago) arbeitet.

Klingt nicht nach einfacher Lektüre und das war es auch nicht. Ich bin erstaunt über das duldsame und breite wie hoch interessierte Publikum, das zu diesem Buch gefunden hat, denn ich musste mehrfach beim Lesen zurückgehen, um alle Fäden zu behalten, obwohl der erste Band nur aus Mahits Sicht erzählt wird. Dafür sind die Szenen in sich immer ausgereift stimmig, die Charaktere konturiert gezeichnet und das kulturell Fremde wird einem mit liebevoller gedanklicher Detailarbeit (das ist vielleicht die Historikerin in der Autorin) nahegebracht.
Hat es Spaß gemacht, diesen mit 1300 Seiten fast tolkienschen Epos zu lesen? – Nicht immer. Es ist eine eigene Welt, der man Raum geben muss, allein die ungewohnte Namensgebung, die im modernen Vergleich wenigen Actionszene …. Dafür aber hat es eine literarische Dichte … wollte ich schreiben. Aber was ist das denn genau? – Schwer zu beschreiben. Die Gedanken von Mahit (manchmal in Auseinandersetzung mit ihrem Imago-Partner) sind faszinierend, genau beobachtend, nah an der Situation, immer in einer Art von Unruhe, die mich mit bewegt haben, an eigene Dinge rühren … und damit eine Art von Action oder Handlung erzeugen, die nicht von äußerem Geschehen oder Haudrauf gesteuert ist, sondern von einem atemberaubenden Flug durch das Universum der Gedanken. Hinzu kommt, dass ich immer wieder Parallelen zum Clash of Cultures in unserer Welt, dem chinesischen wie dem amerikanischen Imperialismus, ziehen konnte und den Abgrund gespürt habe, der beiden Systemen droht. Das ist es allemal wert.

James Corey: The Expanse

3. Der Keim jeden Strebens nach mehr …

The Expanse

Mein Begeisterung für „The Expanse“ werde ich kaum zurückhalten können, deshalb gleich vorweg: Ich liebe diese Serie, TV sogar noch mehr als die Bücher. Warum? Vielleicht (ganz subjektiv), weil hier schräge Randfiguren ins Zentrum des interplanetaren Geschehens geraten, einfach nur weil sie ein bisschen unsicher (nicht selbstgerecht!) ihrem Gewissen folgen. Das wärmt das Herz im kalten Weltenraumgeschehen zwischen Erde und Mars. Denn die drei politischen Mächte, die um die Vorherrschaft im Sonnensystem ringen, sind hemmungslose Kolonialisten (Erde), aufständische Ausgebeutete („Gürtler“) und ideologische Militaristen (Mars) – der Konflikt in dieser eisigen, neokapitalistischen Atmosphäre ist unvermeidbar … und doch steht das buntgemischte Team um James Holden in dem kleinen Kriegsschiffs „Rosinante“ für Hoffnung.
Wer diesen Artikel aufmerksam gelesen hat, muss jetzt aufhorchen. War „Rosinante“ nicht das Pferd von Don Quijote (bei Miguel de Cervantes)? Richtig! Wenn das keine sympathische Selbstironisierung ist, den Windmühlenkampf im Weltraum auf dem Rücken eines klapprigen Gauls zu bestreiten. Tatsächlich wird bei The Expanse mit dem Subgenre Space Opera und seinen Anfängen souverän gespielt. Chapeau.
Abraham, einer der beiden Autoren, betont in Interviews gerne, dass die Buch-Reihe bewusst als Abkehr von zu stark intellektueller Science-Fiction Literatur der 80er und 90er Jahre konzipiert war hin zu einer besser zugänglichen, für ein breiteres Publikum. Das ist definitiv gelungen. Aber auf welche Weise?

Serientrip ohne Soap-Faktor

Eigentlich sollte die Reihe, von der ich Bd. 1-6 gelesen habe (was dem Umfang der abgeschlossenen TV-Serie entspricht), nicht unbedingt in mein anspruchsvolles Beuteschema passen. Band 1 holpert noch ziemlich in der Erzählführung, ist sprachlich vom Übersetzungsmeister Jürgen Langowski im Deutschen mitunter so stark geglättet, dass es seinen leicht ungehobelten Charakter verliert.
Aber das Autorenduo, Daniel James Abraham und Ty Corey Franck, entwickelt sich, profitiert von der Freundschaft zu Mega-Star George R. R. Martin, denkt immer mehr szenisch wie im Film (und wirkt auch intensiv bei den Drehbüchern zur Serie mit), wechselt gekonnt und ohne retardierende Überscheidung die Erzählperspektive zwischen knapp zehn Protagonisten (und ein paar Nebenfiguren). Und, das ist vielleicht die größte Stärke, es gestaltet permanente Veränderung: nichts wiederholt sich, kein ständiges Rumgeballere und trotzdem komplexe militärische Auseinander­setzungen der kulturell verschieden verankerten Parteien, Charakter und Konstellationen entwickeln sich wirklich weiter, selbst der fast nervige Gutmensch Holden wird sarkastisch und geht über seine moralischen Grenzen. Der Wandel wird noch einmal mehr deutlich, als Alien-Technologie ins Spiel kommt und interstellare Raumfahrt möglich wird, was die Machtverhältnisse komplett auf den Kopf stellt.

Wahrscheinlich ist es die extrem gute Mischung, die The Expanse für mich wie auch für viele andere so spannend und unterhaltsam macht: überschaubare Technik und Gegenwartsnähe (trotz Zukunft), sympathische und vielfältige (nicht austauschbare!) Charaktere, politische Brisanz der kulturellen Auseinandersetzung, zwingende militärische Konflikte ohne Pathos, Lerneffekte und Veränderung bei allen Beteiligten, eine variantenreiche sprachliche Gestaltung, intelligent und nicht intellektuell … einfach gelungen.
Und der Titel schwebt wie ein Memento über allem, dass jede expansionistischen Bestrebung, die letztlich nach Überlegenheit sucht, dem Keim für Zerstörung und Leid bereits in sich trägt. Nur die Menschlichkeit kann davor retten. „Humans can be better than they are, so let’s do that“ (Bd. 2, engl. Calibans War, p111).

Science Fiction deutsch

4. Krieg der Welten in Deutschland

Welche Anwärter auf Space Opera gibt es aktuell im deutschsprachigen Raum?
Zugegeben ist mein Lesehorizont hier etwas begrenzt, aber vielleicht auch die Auswahl. Perry Rhodan, die Wiege der deutschen Space Opera, habe ich nie gelesen (verzeiht!). Science Fiction in einzelnen Büchern gibt es nicht wenige von namhaften Autoren wie Andreas Brandhorst, Kris Brynn, Andreas Eschbach, Sven Haupt, Jacqueline Montemurri, Nils Westerbroer und einigen mehr – die zählen aber qua Definition nicht dazu. Mehrbänder, Zyklen, Serien … habe ich ein paar für euch gelesen, die zumindest laut Verkaufszahlen recht beliebt beim Publikum sind und von der Kategorie passen könnten. Ob sich darunter etwas findet, dem ich das Prädikat „neue“ Space Opera verleihen würde, wird sich zeigen. Kurz vorgestellt zu werden, haben sie allesamt verdient.

Joshua Tree – Das letzte Schlachtschiff (Reihe „Das letzte Schlachtschiff“, 2021 ff.)

Wie ein Fantasy-Epos startet Joshua Trees x-Teiler im Regierungstempel von Harbingen. Was zunächst geheimnisvoll und mystisch scheint, ist die Abdankung der Demokratie vor der Herrschaft durch die KI Omega, die Verbannung der Repräsentanten der Kernwelt auf einen fernen Planeten. Unmittelbar auf diese Ereignis jedoch folgt ein erbarmungsloser Angriff durch Aliens, der Milliarden Harbinger das Leben kostet und ihre neue „Sprungtor-Technologie“ (33) vernichtet. Nur ein Schiff, die Oberon, entkommt dem Inferno mit ein paar zehntausend Flüchtlingen. So die Grundkonstellation, aus der sich alles andere entwickelt.
Die Erzählweise ist durchaus komplex und perspektivisch, wobei Technik und Hintergrundinformationen allwissend eingestreut werden, und das nicht zu wenig. Im Übrigen bin ich in meinem Leseleben noch nie so vielen Flotten-Admirälen begegnet (habe 5 gezählt!) wie in diesem Buch und tatsächlich dreht sich die ganze Handlung um die Mannschaft der verschiedenen Militärschiffe, Machtgerangel und Karriere, alte Rechnungen, eine angedeutete Verschwörung und der Plan der Vernichtung der außerirdischen „Klicks“. Mehr über Hintergründe der Aliens und einer am Schluss auftauchenden zweiten Macht erfährt man auf den 450 Seiten nicht. Begegnung zwischen den Kulturen findet nur in Form von Krieg statt. Kleinere Scharmützel und zwei riesige Schlachten werden in allen militärtechnologischen und -strategischen Details geschildert, heroische Taten inbegriffen, im Mittelpunkt die Oberon, das letzte Schlachtschiff.
Fazit: Gar nicht mal schlecht geschrieben, komplex angelegt, weder brutal noch derb, aber militaristisch bis ins letzte i-Tüpfelchen und insofern in der Tradition der Military Science Fiction eines Robert Heinlein. Für mich und die Suche nach einer „neuen“ Space Opera schlicht uninteressant (wobei das nicht generell für alles von Joshua Tree gilt!).

Thariot: Nomads. Kinder der 1000 Sonnen (Reihe „Nomads“ 2022 f.)

Ich sag’s gleich: Thariots Nomads ist (für mich) ziemlich trashig, mit sehr coolen Einlagen und ziemlich tumben. Die Zutaten des Mixes: Außenwelt Eta Prime, eine verlorene „Weltraumprinzessin“ (einzige Tochter eines verstorbenen Wirtschaftsmagnaten), ein stummer C3 Android, ein sexbesessener und sexistischer Stationskommandant, eine hasserfüllte Attentäterin, ein guter (oder böser) Onkel, fünfmetergroße und um sich schlagende Aliens, ein netter Marine Soldat und viele, viele Opfer. Zimperlich geht’s nicht zu. In Nomads wird geflucht, gefickt, geballert und gestorben. Dem Schein nach herrscht im Jahr 41.832 nach Christus Demokratie, in Realität die riesigen Konzerne, die sich in der Milchstraße über die Wurmloch-Verbindungen ausgebreitet haben. Jael, die Tochter eines Konzernchefs, kehrt zur Beerdigung ihres Vaters vom selbstgewählten Exil zurück und übernimmt (widerwillig) die Führung ihres Wirtschaftsimperiums, handelt aus dem Herzen, macht schnell klar Schiff mit den Außerirdischen und entlarvt den Bösewicht.
Männer-Weltraum-Phantasien … würde ich sagen. Und ein Teil von mir hatte bei der Hau-Ruck-und-Drauf-Geschichte seinen Spaß. Natürlich habe ich den Schlüsselsatz gefunden, der alles klärt: „LOS! AUFSITZEN!“ (33), womit – ihr erinnert den Anfang dieses Artikels – die Einordnung eindeutig wäre: Weltraum-Western.
Zugeben muss ich, dass ich gut und spannend unterhalten, manchmal sogar überrascht wurde, mitunter lachen musste und locker bis zum Ende durchgehalten habe. Dass manche technischen Details nicht übermäßig in ein vernünftiges Weltbild passen, hat mich nicht gestört – diesen Anspruch legt die Serie nicht an sich an. Miserabel fand ich trotzdem einiges (nicht mal das Derbe, was mir wenig ausmacht): Da werden Infodump-mäßig Erklärungen eingestreut, die mit der Erzählperspektive gerade mal gar nix zu tun haben. Das nervt (auch schon bei Joshua Tree) und geht wirklich anders! Am schlimmsten: permanente Vergleiche (auch in den Gedanken der Protagonisten) mit Situationen aus dem 20. Jahrhundert (Weltkriege, Atombombe, etc.). Das liegt in der Erzählzeit satte 39.000 Jahre zurück und interessiert keinen genoptimierte Typen mehr in der Zukunft. Von Rechtschreibung, Buchsatzfehlern und sprachlichen Schlampigkeiten (ist das der Preis für 3-5 Bücher pro Jahr?) will ich gar nicht erst anfangen … Das ist schade, aber auch kein Drama.
Mit Nomads, das inzwischen etliche Bände (und mehrere Reihen) umfasst, hat der Endfünfziger Martin Langner alias Thariot eine Welt erschaffen, die sich selbst nicht ganz ernst nimmt – einfach drauf losfabuliert im Weltall der Zukunft – und das ganz nett. Space Opera ist das allemal, aber nicht vom Typ kulturell wertvoll, eher so Lagerfeuer mit den Jungs und ganz bestimmt mit viel, viel Feuerwasser oder Bier.

Kai Meyer: Die Krone der Sterne (3 Bände „Die Krone der Sterne“, 2017-19)

Kai Meyer gehört ja zum Urgestein der Fantasy-Szene, ist beim Publikum sehr beliebt und hat sich bereits auf verschiedene literarische Terrains gewagt – mit Die Krone der Sterne 2017 (in 3 Bänden bis 2019) laut Verlag ins Gefilde der „magischen“ Space Opera – und vermutlich trifft es das ganz gut.
Die unsterbliche, kindliche Gottkaiserin der Galaxie verlangt regelmäßig nach jungen Frauen aus den Baronien, die ihr zugeführt werden und danach verschwunden bleiben. Iniza droht das gleiche Schicksal, doch auf dem Hexenschiff, das sie abholt, gelingt ihr zusammen mit einem Freund und einem legendären Söldner die Flucht, die sie über Umwege zu ihrem Onkel, dem Anführer der Piraten führt, die über ein besonderes Sternentor verfügen. Nicht nur die mächtigen Hexen verfolgen sie nun unerbittlich, sondern auch der andere Bruder ihres Vaters. Die Muse, eine unterwegs zu der Gruppe gestoßene Androidin, weckt zum Schutz der zusammengewürfelten Gruppe die Macht der Maschinen und beschwört damit einen gewaltigen und uralten Konflikt herauf …
Eine Baronesse, zwei verfeindete Brüder, Hexen, eine kindliche Gottkaiserin als Gegenspielerinnen und eine alte Macht, die geweckt wird … das sind eindeutig die Strukturen für einen Fantasy mit tendenziell jugendlichem Publikum. Natürlich ist alles routiniert, sprachlich stimmig und in hohem Erzähltempo geschrieben, aber interessant ist es deshalb noch lange nicht. Weltenbau mit unnötig vielen Infos auf den ersten 20 Seiten (vom Publikum so verlangt?), simpel konstruierte Familienfehden, jede Menge Action vermischt mit mittelalterlich-fantastischen Herrschaftsstrukturen, projiziert ins Weltall und ausgeschmückt mit ein paar technischen Erläuterungen und Star-Wars-Gefechten … all das macht noch keinen ernst zu nehmenden Science Fiction Epos aus. Das ist einfache, kommerziell übliche und handwerklich sauber produzierte Unterhaltung (garantiert ohne störende Gedankenanstöße!) und insofern durchaus Space Opera, mit magischer oder fantastischer Note, aber nicht im besten Sinne des Genres.

Brandon Q. Morris: Die Schmiede Gottes (Reihe „Die kosmische Schmiede“ 2022 f.)

Wenn sich im Jahr 2144 die Wege eines verzweifelten Priester und einer gescheiterten Astrologin kreuzen sollen, bedarf es schon einer weitsichtigen KI mit geheimnisvollen Interessen, dass daraus eine richtige Geschichte entsteht. Vater Paul Henson sucht nach dem tragischen Tod seiner Familie den Gottesbeweis im Kosmos (in guter theologischer Tradition der katholischen Kirche), Celia hofft auf eine sensationelle Entdeckung  in sogenannten Dunkelwolken (Orte der Planentenentstehung) für ihre Rehabilitation, Alexa (Amazons in die Datenfreiheit entlassen KI) studiert menschliche Schicksale. Als tatsächlich ein unerklärliches Phänomen in der Weite des Universums erscheint, organisiert Alexa einen alten Raumfrachter samt Crew sowie ein stillgelegtes Teleskop im Weltraum und bringt alle zusammen ins All, um mit diesen Daten einen wissenschaftlichen Nachweis zu erbringen. Ein mysteriöser Gegenspieler lässt sie mit einer lichtschnellen Rakete beschießen (die anderen KIs oder gar Außerirdische?), aber gemeinsam erreichen sie am Ende die Sensation …
Morris hat sich mit Hard Science Fiction ein eigenes Label geschaffen, wobei „hard“ meint, dass die technischen Entwicklungen und Settings in seinen Romanen einem harten Realitätscheck nach physikalischen Kriterien standhalten. Der Autor ist natürlich selbst Physiker und nebenbei vielleicht sogar Selfpublisher-Papst (unter seinem bürgerlichen Namen Matthias Matting). Kriegt der Naturwissenschaftler aber auch eine ordentliche Story hin? – Mir hat sein Werk am besten gefallen von den vier deutsch-sprachigen. Es ist langsam erzählt mit interessantem und gut eingebautem Wissen, nicht ständig bemüht die Spannungsnerven bis zum Reizlimit zu kitzeln (wobei es auch solche Szenen gibt). Das Szenario baut sich eher aus den verschiedenen Perspektiven und dem Geheimnisvollen auf, das da draußen im Weltall, aber auch bei den weit entwickelten KI’s lauert. Hundertprozent glaubwürdig in der psychologischen Konstitution der Akteure erschien mir nicht alles, aber stimmig genug, um sich auf die Wissenschaftsreise mit gutem Unterhaltungswert einzulassen.
In den weiteren Bänden macht sich die Gruppe um die Astrologin tatsächlich ins Weltall auf, und sie werden mit gleich mehreren anderen intelligenten Species und deren Plänen konfrontiert, die es mit Gewalt oder Raffinesse zu lösen gilt. Aber der vermutlich letzte vierte Band ist zum jetzigen Zeitpunkt (05.2023) noch nicht veröffentlicht und laut meiner Korrespondenz mit Brandon Q. Morris auch noch nicht fertig geschrieben. Das Zeug zu einer „neuen“ Space Opera hätte die Reihe.

Mira, Aiki: Titan

5. Nonbinär auf Titan – Space Opera?

Hat die queere Science Fiction etwas in Richtung Space Opera zu bieten?
Wenn man der selbst getroffenen Einordnung der Autorin Aiki Mira folgen („Was ist Queer*SF“, 2022) würde, wäre ihr Roman Titans Kinder in diese Kategorie einzuordnen. Hm … Das Buch ist weniger als 200 Seiten dünn, schickt uns in Zeitraffer-Aufnahmen durch Szenen aus – wenn ich richtig gerechnet habe – 13 Jahren, in denen ein Team aus Wissenschaftlern und Astronauten auf dem Saturnmond Titan die wundersame Evolution von Leben aus dem Methan-Ozean bis zu einem menschlichen „Kind“ begleitet und als „unnatürliche“ Familie zusammenwächst. Das ist kein größeres Geschehen im fernen Weltraum. Es fehlt zudem jegliche Komplexität, was politische Zusammenhänge wie auch Beziehungen der Beteiligten betrifft und selbst die sprachliche Gestaltung ist bis auf wenige Highlights jugendbuchhaft knapp bis ungelenk.
Ist es Absicht, dass die Erzählperspektive kunterbunt wechselt, mal kapitelweise, mal pro Absatz, dann plötzlich mitten im Abschnitt springt zwischen beteiligten Personen und einer allwissend-erklärenden Erzählerin? Soll das schrill komponiert sein, oder ist es handwerklich unbedacht?
Der spannende Gedanke, eine nonbinäre Person einzuführen, bei der ohne Gebärmutter mütterliche Instinkte geweckt werden, bleibt wie vieles andere unausgeführt und schemenhaft blass.  
Hätte die Autorin für sich geltend gemacht, dass sie das episch Große und Galaxie umspannende der traditionellen Space Opera gerade auf den Kopf stellen und auf Minimalistisches reduzieren wollte, würde ich dieses Buch als bewussten Gegenentwurf, als Ironisierung alter Modelle anerkennend hinnehmen. So allerdings scheint es mir, dass eine erfolgreiche Kurzgeschichte auf minimale Romanform umgeschrieben werden sollte und dieses Unterfangen schon im Ansatz kaum gelingen konnte. Mir umgekehrt ist es jedenfalls nicht gelungen, diesem Buch etwas abzugewinnen. Als Space Opera kann es sicher nicht betrachtet werden.  Da Aiki Mira nach diesem schwachen Start bei Titans Kinder mit Neongrau (2023) ein sehr viel ambitioniertes Werk vorgelegt hat, kann ja noch manches in der nahen Zukunft aus dem fernen Weltraum von ihr folgen.

Wünschenswert wären deutlich ausgereiftere Versuche, andere Formen des Zusammenlebens in eine intergalaktische Zukunft zu legen. Zahlreiche Beispiele dafür gab es in der Blütezeit der Science-Fiction durchaus. Mehr queer darf gerne sein.

6. „Neue“ Space Opera? – Mehr als Soap, Star Wars und Perry Rhodan?

So. Wie war der kleine Ritt durchs aktuelle Zukunftsweltraumgeschehen? – Der Hintern tut weh? Oder vielleicht der Kopf? Dann wäre vielleicht doch eher zur Horse Opera zu raten, wovon es auch unter Weltraumwerken immer noch mehr als genug Nachschub gibt. Von dem neuen Trend prämierter Space Opera aus dem englischen Sprachraum wäre man dann allerdings ziemlich abgehängt …

Im Ernst und ohne Pferdemetapher. Auch ich lese Bücher und suchte Serien, die ich selbst als Trash oder eben „nur unterhaltsam“ bezeichnen würde. Das hat sein Recht und seine Zeit, sollte aber nicht alles sein. Deshalb werbe ich für anderen Lesestoff, kämpfe ritterlich wie Don Quijote auf seiner Rosinante dafür, dass wir über den eigenen Horizont hinausschauen, wie dies beim Lesen von moderner Space Opera tatsächlich passieren kann.

Klischees, ewig Gleiches, heroischer Militarismus und damit Soap im schlechtesten Sinne lässt sich den beiden zuerst vorgestellten und durchaus populären Vertretern (Arkady Martine, James Corey) einer aktuellen Generation von Space Opera nicht mehr unterstellen. Im Gegenteil. Der amerikanische Büchermarkt macht es uns vor: Science-Fiction in epischer Breite im Weltraum kann literarisch, gesellschaftskritisch und für ein breites Publikum ohne Scheuklappen unterhaltsam und lesenswert sein. Das ist die „neue“ Space Opera.
Im deutschsprachigen Raum sehe ich  – nach meiner zugegeben beschränkten Analyse – durchaus noch Nachholbedarf. Und vielleicht ein mutigeres wie offeneres Publikum, das sich nicht nur auf den einschlägigen Conventions tummelt, sondern die Nase tief in andere Literatur steckt und vom Markt und den Verlagen mehr verlangt.

Was mir als zutiefst freiheitsliebendem Menschen dennoch fehlt … Kann es nicht mal einen Entwurf geben, bei dem ein wirklich (basis)demokratisches System in Berührung mit einer anderen Welt kommt und sich bewährt?
Das wäre doch echt mal abgespaced …

 

Arkady Martine: Im Herzen des Imperiums, Heyne 2019, Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski.
Arkady Martine: Am Abgrund des Krieges, Heyne 2022, Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen.
James Cory: The Expanse, Band 1- 6, Heyne 2012 (2011) – 2019 (2016), Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski, Band 9 (Abschluss) 2021.
The Expanse, TV-Serie 2015-2022, Staffel 1-3 Netflix, Staffel 4-6 Amazon, Produktion/ Drehbuch: Mark Fergus und Hawk Ostby
Joshua Tree: Das letzte Schlachtschiff, Joshua Tree Ltd. 2021 (f.)
Thariot: NOMADS. Kinder der tausend Sonnen, 2022 (f.)
Kai Meyer: Die Krone der Sterne, Fischer TOR, 2017-2019 (3 Bände)
Brandon Q. Morris: Die Schmiede Gottes. Hard Science Fiction, (Die kosmische Schmiede) 2022 (f.)
Aiki Mira: Titans Kinder. Eine Space-Utopie, p.machinery 2022.


Weiterführende Links:

Quelle zu Space Opera u.a. Wiki.en: „Space Opera
Rede von Arkady Martine beim Hugo Award 2020 
Interview Phantastik News: Im Gespräch mit: James Corey (2019)
Webseite Joshua Tree
Webseite Thariot
Verlagsseite zu Krone der Sterne (Fischer TOR)
Webseite Brandon Q. Morris
Artikel von Aiki Mira bei Tor-Online: Was ist Queer*SF (2022)
Webseite Aiki Mira

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