Verbannung der Vielfalt

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Volker Weidermann: Das Buch der verbranten Bücher

Verbannung der Vielfalt

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher

Das Undenkbare geschieht

Am 10. Mai vor genau 90 Jahren wurden in Berlin und anderen Städten Deutschlands öffentlich Bücher zusammengetragen und wie auf einem Scheiterhaufen verbrannt.
Eine fast willkürlich erstellte Schwarze Liste „undeutscher“ Bücher (Titel: „wider den undeutschen Geist“) kursierte an den Universitäten, nicht von den regierenden Nazis initiiert, sondern von Intellektuellen eines rechten Deutschtums, denen der Verfall der Sitten in der Literatur und das „schreibende Judentum“ schon lange ein Dorn im Auge war. Goebbels sprang auf den Propagandazug erst auf, als bereits alles organisiert war, und erklärte in seiner Feuerrede um Mitternacht das „Zeitalter des überspitzten jüdischen Intellektualismus“ für beendet – der „Ungeist der Vergangenheit“ muss den Flammen übergeben werden, die siegreiche „deutsche Revolution“ daraus hervortreten. Was für bornierte, leere und unbeseelte Worte, deren Folgen doch unfassbar groß waren …
Das rege und vielfältige geistige Leben der Weimarer Republik war damit endgültig zu Ende. Niemand hat ernsthaft gegen die Bücherverbrennungen protestiert – das Undenkbare fand einfach statt.
Bereits im April 1933 hatte Kurt Tucholsky in ein Gästebuch geschrieben: „Daß unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat, brauche ich Ihnen nicht zu sagen … (…) Unsere Sache hat verloren“ (152). Die Existenz von vierundneunzig deutschsprachigen (und siebenunddreißig fremdsprachigen) Autor*innen sollte für immer aus dem Kulturgedächtnis getilgt werden.
Und das Traurige ist: Liest man die Namen, so gewinnt man den Eindruck, als wäre die Absicht der Nationalsozialisten aufgegangen. Viele der Autor*innen auf der Liste sind vollständig in Vergessenheit geraten, andere große Literaten ihrer Zeit wie Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und Joseph Roth haben im Exil ihre kreative Kraft und ihren Mut verloren, manche, die blieben, sind für immer verstummt und nur sehr wenige konnten nach dem Weltkrieg im Westen (Erich Kästner) oder Osten (Berthold Brecht, Bernhard Kellermann) Deutschlands wieder an ihrer alte Arbeit anknüpfen.
Doch: Die Erinnerungskultur macht es möglich, den verbrannten Büchern wieder ein wenig Leben zurück zu geben. Die „digitale Bibliothek der verbrannten Bücher“ hat sich aus aktuellem Anlass (90 Jahre!) zum Ziel gesetzt, Hintergrundmaterial zu allen verbotenen Autor*innen zu veröffentlichen und möglichst viele der Werke zur Verfügung zu stellen – ein tolles Projekt. Andere, wie Jürgen Serke „Die verbrannten Dichter“ (1977) und Volker Weidermann „Das Buch der verbrannten Bücher“ (2008), boten bereits eine sehr gründliche und gut zu lesende Aufarbeitung.
Da ich Volker Weidermann in seiner unaufgeregten und sachlichen Art letzte Woche auf der Leipziger Buchmesse erlebt hatte, stand ein Werk von ihm sowieso auf meiner Leseliste. Was könnte passender sein zum heutigen Gedenktag?

Die Auslöschung einer Kultur

Alle vierundneunzig deutschsprachigen Autoren der „ersten schwarzen Liste“ (9) lässt V. Weidermann in seinem Buch zu Wort kommen, versucht das Besondere und Erinnernswerte herauszukehren. Eindrücklich ist auch die Einleitung, wie es überhaupt zu der Bücherverbrennung kam und wie unsäglich wenig Widerstand sich gegen diesen „Aberwitz“ formierte. Die Liste eines kleinen Bibliothekars, Wolfgang Herrmann, weder von der Weimarer Republik noch vom Nationalsozialismus geschätzt, wird von der Vereinigung „Deutsche Studentenschaft“ aufgegriffen und kursiert plötzlich unangefochten in der Öffentlichkeit unter dem Motto „wider den deutschen Ungeist“. Nur wenige Tage später wurden Bücher verbrannt …
Fiel dieser rechte Ungeist auf fruchtbaren Boden in der kulturellen Szene Deutschlands? Schwer einzuschätzen. Ich glaube nicht bei der Mehrheit. Aber in nur wenigen Wochen hatte es Hitler geschafft, mit der unseligen Kombination von Einschüchterung und Deutschtum-Vereinnahmung ein Klima zu schaffen, das keinen Widerspruch duldete, nachzulesen in den Erinnerungen von Sebastian Haffner.
Wie groß der kulturelle Verlust war, wird deutlich, wenn man sich durch die Seiten von Weidermanns Sammlung liest. Pro Kapitel verknüpft er jeweils mehrere Autor*innen unter einem Thema, fasst kurz das Werk wie auch die zeitgeschichtliche Wirkung zusammen, sei sie klein oder bedeutend, und erzählt Stationen des Schicksals.

Erinnerer und Literaturkritiker

Wie unfassbar es für viele der Betroffenen war, dass man ihre Bücher verbot, und wie lange sie die bittere Einsicht verweigerten, dass sie keinen Platz mehr im deutschen Kulturleben des Nationalsozialismus‘ hatten, ist bedrückend …
Die Situation der Verzweiflung und Depression im Exil, herausgerissen und entwurzelt aus dem eigenen Leben, die nicht wenige schließlich mit dem Freitod beendeten (Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Joseph Roth u.a.). Die Probleme und das Leid derer, die in Deutschland blieben (Erich Kästner, Irmgard Keun). Die wenigen, denen ein neuer Anfang außerhalb vom Deutschen Reich gelang (Erich Maria Remarque, Egon Erwin Kisch). Kuriositäten wie Hans Heinz Ewers, der sich doch für den Nationalsozialismus begeisterte, sogar den „Wessel-Roman“ schrieb und trotzdem verboten wurde. Oder Alexander Moritz Frey, der mit Hitler zusammen im 1. Weltkrieg gedient hatte und dessen Anerkennung der mächtige Mann lange und erfolglos suchte, nur um ihn später um so härter zu verfolgen. Ein paar, die eigentlich gar nicht auf die Liste passten (Fritz Bley) oder sich sehr schnell anzupassen wussten und das totalitäre Regime unterstützen (Max Bartel, Erich Ebermayer, Eva Leidmann). Und zum Glück waren es nur vergleisweise wenige der Autor*innen, die direkt vom Terrorregime ermorderte wurden (Leo Hirsch, Georg Hermann, Albert Hotopp). Sehr viele mehr, die verarmt, erkrankt und ohne Existenzgrundlage einen viel früheren Tod starben …
All das hat der Erinnerer Volker Weidermann bewegend und in (fast immer) würdigender Weise wieder lebendig gemacht. Kurzweilig und anekdotenhaft zu lesen, gründlich in den Fakten recherchiert, sehr viel Interessantes zu Tage gefördert. Dieses Verdienst muss man ihm hoch anrechnen. Für mich höchst spannend und lehrreich. Deshalb: absolut empfehlenswert.
Gleichwohl schnellt das böse Literaturkritikerchen etwas zu oft aus der Kiste hervor und will auf Teufel-komm-raus gewitzt und unterhaltsam sein – und das geht manchmal, wie ich finde, gründlich schief. Schnelle Abkanzelungen wie „wer langsam schreibt ist dumm“ (189), „stark gefühlt und ziemlich schwach geschrieben“ (50) oder „Sein Buch ist leider furchtbar. Rührseelig. Kitschig. Gut gemeint.“ (146) sind unnötige Urteile und im Fall von Georg Fink und Irmgard Keun mitnichten kanonisch. Was ist der Maßstab, wo wird er benannt? Und ist es nicht ein abgedroschener Topos, die letzten Worte eines Dichters zum scherzhaften Kommentar über ein ganzes Leben zu hängen (154, 224)? Noch schlimmer, dass Weidermann unbedarft und falsch mit psychodiagnostischen Begriffen rumhantiert: „war manisch depressiv wie Toller“ (83). Bei all dem Tragischen, was Ernst Toller in Krieg, Revolution und Haft erlebt hat, ist dieser Stempel komplett daneben. Mit solcher Undifferenziertheit kommt man ins Fernsehn, ins Literaturlexikon vermutlich nicht. Deshalb muss ich sagen: Ohne den Anteil des urteilenden (mitunter anmaßenden) und clever schreiben wollenden Literaturkritikers hätte mir das Buch weit besser gefallen.
Aber auch so bin ich sehr dankbar für die vielen Einblicke.
Sehr viele Autor*innen mehr, die 1933 noch nicht auf der Schwarzen Liste standen, wurden später im Nazistaat verboten (Sigmund Freud, Alfred Adler, Theodor Heuss, Robert Musil, Thomas Mann, etc.) und  z.T. auch schon am 10. Mai verbrannt. Diese haben natürlich eine ähnliche Würdigung verdient ( Auflistung).

Ihr wisst ja, die Literatur der Weimarer Republik (und das sind die allermeisten der verbrannten Bücher) ist mein Steckenpferdchen. Deshalb schaut doch mal (unten!) bei weiteren Büchern aus dieser Zeit vorbei. Übrigens gibt es einen Blog, der sich nur mit Büchern aus dieser Zeit beschäftigt. Unbedingt empfehlenswert: LITERATURWEIMAR von Jörg Mielczarek.

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. btb 2009 (2008), 255 Seiten


Weiterführende Links:

Die „digitale Bibliothek der verbrannten Bücher
LITERATURWEIMAR von Jörg Mielczarek.
Früher verbrannt, heute verbannt (Artikel Deutschlandfunk Kultur)
Rezension zum Buch bei LITERATURWEIMAR (sehr lesenswert!)
Rezension zum Buch vom Kaffeehaussitzer (sehr lesenswert!)
Leselust, Andreas Kück, zu Erich Kästners „Über das Verbrennen von Büchern“ (auch sehr lesenswert!)

Goldenes Berlin

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